Winfried R. Garscha: Wie die Februarkämpfe zum Bestandteil der KPÖ-Geschichte wurden

Interview mit dem Historiker Winfried R. Garscha vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes über die Rolle der KPÖ in den Februarkämpfen des Jahres 1934. Die Fragen hat Rainer Hackauf gestellt.

Wie war die Situation in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung unmittelbar vor dem Februar 1934?

Die KPÖ war in der Ersten Republik stets eine kleine politische Kraft, doch Ende 1933/Anfang 1934 begannen sich zahlreiche enttäuschte SozialdemokratInnen verstärkt für die Politik der KPÖ zu interessieren. Durch ihre Erfolge bei illegalen Aktionen galt die bereits im Mai 1933 verbotene KPÖ als Vorbild für den Untergrundkampf, auf den sich nunmehr auch Tausende SozialdemokratInnen ernsthaft vorzubereiten begannen. Die Sozialdemokratische Partei wiederum verlor seit dem März 1933 aufgrund ihres Zurückweichens vor der schrittweisen Aufrichtung der Diktatur Hunderttausende Mitglieder.
Als Anfang Februar 1934 die faschistischen Heimwehren mit Unterstützung der Exekutive dazu übergingen, unter dem Vorwand von „Waffensuchen“ systematisch sozialdemokratische Einrichtungen zu zerstören, gab die KPÖ mehrere Sondernummern der „Roten Fahne“ heraus, in denen die Auflösung der faschistischen Organisationen, die Wiederherstellung der Versammlungs-, Koalitions- und Pressefreiheit sowie die Aufhebung des Verbots der KPÖ gefordert und auf die Gefahren der Hitler-Diktatur in Deutschland für Österreich verwiesen wurde.

War die KPÖ auf die Februarkämpfe vorbereitet?

Anfang Februar wurde Leopold Hornik von der Parteiführung beauftragt, gemeinsam mit dem niederösterreichischen kommunistischen Gewerkschafter Franz Honner einen „Aufruf zum Generalstreik“ zu verfassen, den er am 7. Februar dem sozialdemokratischen Gewerkschaftssekretär Johann Schorsch vorlegte – als Vorschlag für einen gemeinsamen Aufruf von SDAP, Freien Gewerkschaften und KPÖ. Der Aufruf enthielt keine kommunistischen Forderungen, sondern bezog sich auf die Absetzung demokratisch gewählter sozialdemokratischer Stadtverwaltungen durch die Dollfuß-Regierung, Gewaltakte der Heimwehren gegen sozialdemokratische Einrichtungen in den Bundesländern und die Besetzung der sozialdemokratischen Parteizentrale in Wienzeile durch die Polizei und rief zur Wahl von Streikleitungen auf, um den Abwehrkampf gegen die faschistischen Angriffe zu organisieren.
Schorsch antwortete, er sei für einen Streik bereits wiederholt eingetreten, doch niemals damit durchgedrungen; er allein habe außerdem kein Entscheidungsrecht. Daraufhin ergänzte die KPÖ den Aufruf um eine (im Vergleich zu früheren Formulierungen eher sanfte) Kritik am Kapitulationskurs des sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsvorstandes und verbreitete ihn – als Sonderausgabe der „Roten Fahne“ mit dem Datum 10. Februar 1934 – in ihrem eigenen Namen in den Betrieben.

Wie groß war der Anteil der KPÖ an den Februarkämpfen?

Friedrich Hexmann, ein Gründungsmitglied des Kommunistischen Jugendverbands und seit den 1920 er Jahren führender Funktionär der KPÖ, erzählte Jahrzehnte später, wie er vergeblich versucht hatte, sich den kämpfenden Schutzbündlern auf dem Laaer Berg, die den riesigen Gemeindebau-Komplex des George-Washington-Hofes in Wien-Favoriten verteidigten, anzuschließen. Als er sich den Stellungen des Republikanischen Schutzbundes genähert habe, hätten ihn die bewaffneten Sozialdemokraten aufgefordert zu verschwinden, denn: „Das ist unser Kampf!“
KommunistInnen beteiligten sich aber an den Kämpfen, verlangten Waffen von den kampfbereiten Schutzbundeinheiten und reihten sich in den Kampf ein. Selbstverständlich bestand die übergroße Mehrheit der Kämpfenden auf Seite der Arbeiterschaft aus Männern des Schutzbundes, doch war der Anteil der Kommunisten gemessen am Stärkeverhältnis zwischen KPÖ und Sozialdemokratie vor 1934 überproportional. Während der vier Kampftage zwischen 12. und 15. Februar waren es fast ausschließlich Kommunisten, die mit Flugblättern und Streuzetteln so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit zur Regierungspropaganda durch Zeitungen und Radio herstellten, wobei diese – in Wien und in der Obersteiermark verbreiteten – Flugschriften meist mit „K.P.Ö. / S.P.Ö.“ unterzeichnet waren. In Steyr übernahmen kommunistische Arbeiter der Steyr-Werke während der Kämpfe die Reparatur der Waffen, in Wien gelang es dem kommunistischen Medizin-Studenten Fritz Jensen eine Art Sanitätsdienst aufzubauen, indem er schwerverwundete Schutzbündler heimlich im Lainzer Krankenhaus unterbrachte und besonders gefährdete Februarkämpfer später seiner Beiwagen-Maschine in die CSR in Sicherheit brachte.

Gab es in den Februartagen auch kommunistische Opfer?

Aus den Nachforschungen der Staatspolizei über die Parteizugehörigkeit von toten und verwundeten „Zivilisten“ geht hervor, dass in Wien den 55 Toten auf Seiten des Regierungslagers 131 Tote auf Seiten der Zivilbevölkerung gegenüberstanden. Von diesen waren 16 Angehörige des Republikanischen Schutzbundes, 36 sonstige Sozialdemokraten und sechs Kommunisten.

Nach dem Februar 1934 wandten sich klassenbewusste SozialdemokratInnen von der SDAP ab und traten zur KPÖ über.

Die massive Übertrittsbewegung nach der Niederlage, als sich rund 12.000 frühere SozialdemokratInnen der KPÖ anschlossen, machte die Partei zum zahlenmäßig ebenbürtigen Rivalen (und zeitweiligen Partner) der Revolutionären Sozialisten im illegalen Kampf gegen das autoritäre Dollfuß-Schuschnigg-Regime. Der typische Lebenslauf eines mittleren KPÖ-Funktionärs der Zweiten Republik umfasste die Stationen Kinderfreunde – Rote Falken – Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) – Wehrsport (Jugendorganisation des Republikanischen Schutzbundes) – Republikanischer Schutzbund – Teilnahme an den Februarkämpfen 1934 – Übertritt zur KPÖ. Damit wurden die Februarkämpfe zum Bestandteil der KPÖ-Geschichte.

Ein dunkles Kapitel der Geschichte ist das weitere Schicksal vieler Schutzbündler im sowjetischen Exil.

Von den nach den Februarkämpfen in die Tschechoslowakei geflüchteten Schutzbündlern fanden 750 Zuflucht in der Sowjetunion, 160 von ihnen fuhren 1936/37 nach Spanien, um als Angehörige der Internationalen Brigaden die republikanische Regierung gegen die Franco-Putschisten zu verteidigen, über 200 kehrten noch vor 1938 nach Österreich zurück. Von den rund 400 in der UdSSR verbliebenen Schutzbündlern fielen etwa 150 dem stalinistischen Terror zum Opfer, weitere 20 bis 30 kehrten erst nach jahrelanger Lagerhaft zurück. 46 Schutzbündler wurden zwischen 1939 und 1941 den Behörden Nazi-Deutschlands übergeben, einige davon kamen in Konzentrationslagern ums Leben. Das Schicksal dieser Menschen, von denen der größte Teil Mitglieder der Kommunistischen Partei war, blieb auch nach den Enthüllungen Chrustschows über Stalin auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 innerhalb der KPÖ ein Tabu, das erst in den späten 1980er Jahren gebrochen wurde.

Welche Rolle spielte der Februar in der Geschichtsschreibung der KPÖ?

Es war offenbar diese Tabuisierung des stalinistischen Terrors, die fast vier Jahrzehnte lang eine Darstellung der KPÖ-Geschichte zwischen 1934 und 1938 verhinderte. Während der Kampf der KPÖ gegen die NS-Diktatur schon im Referat des KPÖ-Generalsekretärs Friedl Fürnberg auf dem 13. Parteitag im 1946 ausführlich gewürdigt wurde und seit dem 1963 erschienenen Buch von Hermann Mitteräcker über den kommunistischen Widerstand auch Gegenstand der KPÖ-Geschichtsschreibung war, endeten die parteiinternen Schulungsmaterialien zur Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung mit dem Jahr 1934. Die erste ausführliche Darstellung der Geschichte der KPÖ zwischen 1934 und 1938 war in Arnold Reisbergs Buch zum 40. Jahrestag der Februarkämpfe (1974) enthalten. 1984 wurde mein gemeinsam mit Hans Hautmann verfasstes Buch über die den Februar 1934 in der populären „Schriftenreihe Geschichte“ der Berliner Dietz-Verlags veröffentlicht.

Welche Rolle spielten die Februarkämpfe in der Geschichtspolitik und Erinnerungspolitik der KPÖ?

Ernst Wimmer, der sich als KPÖ-„Chefideologe“ in den 1970er und 1980er Jahren sowohl in Abgrenzung vom „Eurokommunismus“ als auch von den in der Partei vorherrschenden stalinistisch geprägten Vorstellungen um eine Neupositionierung der KPÖ bemühte, war – bei aller Unduldsamkeit gegenüber seinen KritikerInnen – peinlich darauf bedacht, die Gefühle der Generation der antifaschistischen WiderstandskämpferInnen innerhalb der Partei zu respektieren. Als etwa im Vorfeld des 50. Jahrestags der Februarkämpfe (1984) in der Historischen Kommission der KPÖ die Idee diskutiert wurde, zu versuchen, prominente sozialdemokratische Antifaschisten für eine gemeinsame – und damit ausdrücklich nicht nur kommunistische – Gedenkveranstaltung zu gewinnen, um ein Signal gegen die seit 1980 verstärkten neonazistischen Umtriebe zu setzen, schnitt Wimmer die Diskussion mit dem Hinweis ab, dass die 1934 zur KPÖ übergetretenen Februarkämpfer für solche taktischen Überlegungen kein Verständnis aufbringen würden: Der Februar 1934 sei unser Kampf gewesen und daher kein Anlass für Bündnisveranstaltungen, sondern für eine Manifestation kommunistischer Identität.

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