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Manfred Mugrauer: »Der Vorwurf, die KPÖ habe sich zu wenig mit ihrer Geschichte beschäftigt, ist ein Klischeebild«

Im Bild: Manfred Mugrauer.

Nach den Wahlerfolgen in Graz und Salzburg wurde die KPÖ von liberalen MeinungsmacherInnen zur „Aufarbeitung ihrer Geschichte“ aufgefordert. Zudem würden durch eine Umbenennung der Partei weniger WählerInnen von ihr abgeschreckt werden, so eine weitere gängige These. Manfred Mugrauer beschäftigt sich als Historiker schwerpunktmäßig mit der Geschichte der KPÖ. Rainer Hackauf hat mit ihm über aktuelle Fragen des kommunistischen Geschichtsbilds gesprochen.

Es ließ nach den Wahlerfolgen in Graz und Salzburg nicht lange auf sich warten, bis wieder die Geschichte der KPÖ ins mediale Rampenlicht rückte. Warum ist das so?

Manfred Mugrauer: Auffällig ist, dass weniger die WählerInnen, sondern vor allem JournalistInnen und politische KommentatorInnen die KPÖ mit ihrem historischen Erbe konfrontieren. In den Wahlkämpfen selbst – auf der Straße, bei den Infoständen – spielen geschichtliche Fragen kaum eine Rolle. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass sich JournalistInnen angesichts des wiedererwachten Interesses an der KPÖ auch der Parteigeschichte zuwenden. Problematisch wird es erst, wenn der KPÖ dabei ausschließlich eine Negativbilanz – nicht selten der gesamten kommunistischen Bewegung – vorgerechnet wird. Ich erinnere mich etwa, dass sich Elke Kahr in einem profil-Interview für die Hungersnot in der Ukraine in den 1930er Jahren rechtfertigen musste. Florian Klenk, der Falter-Chefredakteur, reagierte auf den Grazer Wahlerfolg mit dem lakonischen Hinweis auf das „Schwarzbuch des Kommunismus“.

Nun ist es tatsächlich so, dass keine andere politische Kraft ein ähnlich enges Verhältnis zur eigenen Geschichte besitzt wie die organisierte ArbeiterInnenbewegung. Das Selbstverständnis der KPÖ wird entscheidend von ihrer opferreichen Rolle in den Jahren der NS-Diktatur und ihrem Anteil am demokratischen Wiederaufbau nach 1945 geprägt. Die KPÖ war die Hauptkraft des antifaschistischen Widerstands und eine der drei Gründerparteien der Zweiten Republik. Das Kommunismusbild in Österreich wurde jedoch weniger aus diesen geschichtlichen Leistungen denn aus der Identifikation der KPÖ mit der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern geformt.

Die KPÖ galt immer als eine ausgesprochen Moskau-treue kommunistische Partei. Was waren die Gründe dafür? Welche Auswirkungen hatte dieses Naheverhältnis?

Es ist kein Alleinstellungsmerkmal der KPÖ innerhalb der kommunistischen Weltbewegung, sich an der Politik der sowjetischen Führung orientiert zu haben. Die Ausstrahlungskraft der Oktoberrevolution war derart groß, dass die Führungsrolle der Sowjetunion im sozialistischen Lager nicht erst verordnet werden musste. Die Tatsache, dass Österreich 1945 von der Roten Armee vom Faschismus befreit wurde, hat die Verbundenheit der KPÖ-Mitglieder mit der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern weiter vertieft.

Umgekehrt resultierten aus diesem Naheverhältnis die größten Problemzonen der KPÖ-Geschichte. Das schwerwiegendste Problem besteht darin, dass die KPÖ Fehlentwicklungen in den Staaten des realen Sozialismus weitgehend kritiklos gegenüber gestanden ist. Ungerechtigkeiten bis hin zu Verbrechen wurden beschönigt oder tabuisiert. Ihre mehr absolute denn kritische Solidarität mit der Sowjetunion erleichterte in den Jahren des Kalten Krieges die Ausgrenzung und Isolation der Partei. Aus der unkritischen Haltung der KPÖ gegenüber den sozialistischen Ländern resultierte eine Hypothek, die die kommunistischen AktivistInnen durch ihr tagtägliches Engagement – in den Gemeinden, in den Betrieben oder in sozialen Bewegungen – schwer wettmachen konnten.

Die negativen Auswirkungen dieser engen Bindung an die Sowjetunion wurden vor allem 1956 und nach 1968/69 – beim Volksaufstand in Ungarn und der Niederschlagung des Prager Frühlings – sichtbar.

Als Teil der kommunistischen Weltbewegung war die KPÖ maßgeblich von den großen politischen Zäsuren in den Jahren 1956, 1968 und 1990 betroffen, und jedes dieser Krisenjahre hatte einen Rückgang der Parteimitgliedschaft zur Folge. Es greift aber dennoch zu kurz, die KPÖ nur unter dem Gesichtspunkt dieser internationalen Entwicklungen zu sehen. Die KPÖ-Geschichte ist mehr als eine Abfolge parteiinterner Krisen. Über die weltpolitischen Brüche hinweg war die KPÖ immer auch eine radikale soziale Bewegung, die in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung verankert war. Ihr Einfluss ist zwar auf der allgemein-politischen Ebene kontinuierlich zurückgegangen, sie hat aber durchaus auf kommunaler Ebene und in den großen Industriebetrieben eine politische Rolle gespielt. Sie war auch ein Faktor in außerparlamentarischen Bewegungen, etwa in der Friedensbewegung, in antifaschistischen Initiativen, in Solidaritätsbewegungen etwa mit Ländern wie Vietnam, Chile und Nicaragua oder auch in der neuen Frauenbewegung.

Nun werfen KritikerInnen der KPÖ vor, sich unzureichend mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt zu haben. Wie steht es deiner Meinung nach um die „Aufarbeitung“ der Parteigeschichte?

Der gängige Vorwurf, die KPÖ habe sich zu wenig mit ihrer Geschichte beschäftigt, stellt sich bei näherer Betrachtung als Klischeebild heraus. Die KPÖ leitete nach 1990 eine Neuorientierung ein, in der ein kritischer Blick auf die eigene Geschichte geradezu in den Mittelpunkt rückte. In geschichtswissenschaftlichen Analysen, die in den letzten 30 Jahren im Umfeld der KPÖ veröffentlicht wurden, wird keine einzige Problemzone ausgespart. Als ein Beispiel nenne ich nur die Rehabilitierung der österreichischen Opfer des Stalin-Terrors, um die sich Franz Muhri, der frühere Vorsitzender KPÖ, besonders verdient gemacht hat. Die KPÖ verfügt heute über ein erneuertes Geschichtsbild, das auf der „Aufarbeitung“ von Fehlern der Vergangenheit auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch auf der Anerkennung geschichtlicher Leistungen der Partei beruht.

Zu wenig beachtet wird, dass in KPÖ-nahen Periodika in den letzten 20 bis 30 Jahren mehr Beiträge über die Geschichte der Partei erschienen sind als in allen österreichischen Zeitschriften über die anderen Parteien zusammen. Man kann ohne Übertreibung einschätzen, dass keine Partei in Österreich über ein derart kritisches Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte verfügt wie die KPÖ. Das Problem besteht also eher darin, und damit spiele ich den Ball an die von dir angesprochenen KritikerInnen zurück, dass eine breitere öffentliche Auseinandersetzung über diese Forschungen noch aussteht.

Bei ÖVP-PolitikerInnen wie Wolgang Schüssel oder Johanna Mikl-Leitner wundert es nicht, warum aber fällt es liberalen JournalistInnen derart schwer, aktuelle Forschungen über die KPÖ-Geschichte zur Kenntnis zu nehmen?

Der Hauptfaktor besteht natürlich darin, dass die meisten von ihnen grundsätzlich an keiner ernsthaften Auseinandersetzung mit der KPÖ-Geschichte interessiert sind. Selbst wenn ganze Bibliotheken über die KPÖ geschrieben werden würden, wären sie dennoch nicht willens, von ihren etablierten Klischeebildern abzugehen. Diesen Eindruck konnte ich auch aus persönlichen Gesprächen mit JournalistInnen gewinnen, die sich als „linksliberal“ verstehen. Nach den Wahlerfolgen in Graz und Salzburg haben mich einige Medien als „Experten“ für die KPÖ-Geschichte entdeckt. Es ging den meisten von ihnen aber, wie sich herausgestellt hat, gar nicht um neuere Forschungsergebnisse oder ausgewogene Einschätzungen über die Geschichte der Partei. Für sie war ich nur als potenzieller Stichwortgeber für neu zu enthüllende Fehler und „Verbrechen“, möglichst in der jüngeren KPÖ-Geschichte, interessant. Solch Aufdeckergehabe geben sie dann als „kritischen“ Journalismus aus. Am liebsten würden sie zur eigenen Profilierung ein Österreich-Kapitel des in den 1990er Jahren erschienenen „Schwarzbuchs des Kommunismus“ nachreichen.

Ein zweiter Faktor ist, dass es so etwas wie eine „offizielle“ KPÖ-Geschichtsschreibung heute nicht mehr geben kann. Die Zeiten sind vorbei, in denen die KPÖ ihren Mitgliedern ein verbindliches Geschichtsbild vorgeben könnte. Es gibt Forschungen im Umfeld der KPÖ, diese erfolgen jedoch nicht im Auftrag der Parteiführung und auch nicht im Rahmen eines systematischen Forschungsprogramms. Selbst die Texte im von mir herausgegebenen Bildband „100 Jahre KPÖ“ oder Walter Baiers Buch über die 100-jährige Geschichte der Partei, das der Bundesvorstand 2018 herausgegeben hat, wurden in keinem Gremium der Partei diskutiert und von keiner Parteiinstanz „abgesegnet“. Gemeinsam ist aber all diesen Beiträgen, die Geschichte der Partei möglichst allseitig im Rahmen unseres erneuerten Geschichtsbildes darzustellen und kein Problemfeld auszusparen.

Wie siehst du allgemein den Forschungsstand zur Geschichte der KPÖ? Wo bestehen die größten Forschungslücken?

In der akademischen Geschichtswissenschaft in Österreich sind Forschungen über die KPÖ bisher überschaubar geblieben. An den Universitäten spielt die Parteigeschichte de facto keine Rolle. Dieser Befund gilt jedoch nicht nur für die KPÖ, sondern für die gesamte Geschichte der ArbeiterInnenbewegung. Diese ist nach 1990, nachdem sie in den 1970er Jahren einen großen Aufschwung genommen hatte, als Forschungsgegenstand weitgehend obsolet geworden. Vom weltweiten Boom der „Kommunismusforschung“ nach 1990 wurde Österreich allenfalls gestreift.
Das größte Forschungsdesiderat besteht aus meiner Sicht in einer Darstellung der KPÖ-Geschichte als Sozial- und Kulturgeschichte. Bisherige Forschungen, auch meine eigenen, sind vor allem politikgeschichtlich motiviert. Es gäbe aber zahlreiche Themen, die mit den Methoden einer „Parteigeschichte von unten“ zu bearbeiten wären. Fragen nach der politischen Kultur der Partei, nach dem Organisationsalltag, nach der Milieuverwurzelung der Partei auf lokaler Ebene usw. haben bisher kaum eine Rolle gespielt. Perspektivisch geht es darum, die Politik- und Organisationsgeschichte der KPÖ mit neueren Fragestellungen einer Sozial- und Kulturgeschichte zusammenzuführen.

Eine Konstante in der österreichischen Nachkriegsgeschichte ist ohne Zweifel der Antikommunismus. Wie hat sich dessen Stellenwert heute verändert?

Man kann ohne Übertreibung behaupten, dass der Antikommunismus nach 1945 nirgendwo in Europa derart ausgeprägt war wie in Österreich und Westdeutschland. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass die KPÖ in der unmittelbaren Nachkriegszeit angesichts der antikommunistischen Hegemonie von vornherein ohne Chance war. Natürlich unterlag der Antikommunismus seither mehrfach einem Funktionswandel, nicht zuletzt seit dem Ende der Systemkonfrontation.
Nun haben nahezu 30 Prozent der WählerInnen in Graz und in Salzburg-Stadt unter Beweis gestellt, dass der Begriff „kommunistisch“ im Parteinamen seinen Schrecken verloren hat. Sie beurteilen die KPÖ heute vor allem anhand ihrer konkreten Politik und der Glaubwürdigkeit ihrer KandidatInnen, während Klischeevorstellungen und Vorurteilsstrukturen aus der Zeit des Kalten Krieges ihre Wirkungsmacht weitgehend eingebüßt haben. Der Umgang der KPÖ mit ihrer Vergangenheit rangiert in den Wahlmotiven wohl ganz unten bzw. spielt überhaupt keine Rolle. An dieser Erkenntnis werden à la longue auch JournalistInnen und KommentatorInnen nicht vorbeikommen. Spätestens dann, wenn der KPÖ im Herbst der Einzug in den Nationalrat gelingen sollte, werden sie ihre Energien darauf konzentrieren müssen, die Ursachen der kommunistischen Wahlerfolge eingehender zu analysieren und nicht wieder auf einzelnen Aspekten der KPÖ-Geschichte herumzureiten.

Es gibt kaum ein Interview mit Elke Kahr oder Kay-Michael Dankl, in dem den beiden von JournalistInnen nicht die Umbenennung der KPÖ nahegelegt wird. Wie ist deine Sicht auf diese Frage?

Für mich ist dies ein beinahe tragischer Beweis für die Borniertheit dieser KommentatorInnen, die zu keiner Analyse aktueller Entwicklungen bereit sind. Das Argument, die KPÖ möge sich angesichts geschichtlicher Erfahrungen vom „K“ im Namen trennen, wurde auch innerhalb der KPÖ lange diskutiert. Nachdem das alleinige Kriterium der Wahrheit die Praxis ist, sind solche Meinungen – angesichts des Grazer Wahlerfolgs – zwar innerhalb der KPÖ verstummt, JournalistInnen zeigen sich davon jedoch unbeeindruckt. Barbara Tóth empfahl etwa im Falter der „irreparabel beschädigten Marke KPÖ“ einen neuen Parteinamen. Ausgerechnet jetzt, wo bewiesen ist, dass eine Partei auch mit dem „K“ im Namen in der Lage ist, sogar die relative Mehrheit der Stimmen in der zweitgrößten Stadt Österreichs zu erreichen, und sie einen ähnlichen Erfolg in Salzburg unter – historisch betrachtet – noch schwierigeren Bedingungen wiederholen konnte, soll die KPÖ daraus die Schlussfolgerung ziehen, sich umzubenennen? Dagegen müssten nicht nur die KommunistInnen, sondern auch sämtliche professionellen PR-StrategInnen Österreich Einspruch erheben.

Die KPÖ macht auch gar kein Geheimnis daraus, dass sie die Überwindung des Kapitalismus anstrebt und auf eine sozialistische Gesellschaft orientiert. Ich bin auch überzeugt davon, dass ungeachtet der negativen Erfahrungen mit den Ländern des realen Sozialismus eine Mehrzahl der Menschen eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus als grundsätzlich positiv beurteilt. Darauf deuten auch aktuelle Umfragen hin. Womöglich ist es sogar so, dass „kommunistisch“ in Österreich heute einen besseren Klang hat als das allgemeine Etikett „links“, das viele – natürlich zu Unrecht – angesichts des unrühmlichen Wirkens linksliberaler KulturkämpferInnen als bevormundend und abgehoben – und damit als nicht an den drängenden Problemen orientiert – wahrnehmen.

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