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Luciana Castellina: »In der Kommunistischen Partei lernten die Menschen zu Subjekten der Politik und Veränderung zu werden«

Luciana Castellina ist eine der zentralen Akteur:innen der italienischen Linken. 1969 gründete sie zusammen mit Lucio Magri, Aldo Natoli, Valentino Parlato, Luigi Pintor und Rossana Rossanda die Zeitung Il Manifesto. Von 1976 bis 1983 war sie Abgeordnete im Italienischen Parlament und von 1979 bis 1999 Abgeordnete im Europäischen Parlament. Auf Einladung der KPÖ war die 94-jährige Kommunistin Anfang Februar in Wien. Mario Memoli hat Castellina im Zuge dessen zum Gespräch getroffen.

Luciana Castellina wurde 1929 während des Mussoloni-Faschismus geboren und trat kurz nach der Befreiung Italiens der Kommunistischen Partei Italiens, dem Partito Comunista Italiano (PCI) bei, in der sie bald Funktionärin des Kommunistischen Jugendverbands wurde. Luciana Castellina, gelernte Juristin, arbeitete auch als Journalistin, engagierte sich in der Frauensektion der Partei und war später Mitglied im Präsidium des parteiunabhängigen Frauenverbandes Unione delle Donne Italiane. Im Zuge ihrer Laufbahn war sie außerdem drei Mal italienische Parlamentsabgeordnete sowie zwanzig Jahre lang Mandatarin im Europäischen Parlament. Als sie gemeinsam mit anderen Genoss:innen Ende der Sechziger-Jahre den Kurs des PCI offen kritisierte und die Plattform und Zeitschrift il manifesto gründete, wurde sie gemeinsam mit Rossana Rossanda, Lucio Magri und anderen aus der Partei ausgeschlossen. Erst 1984 trat sie, auf Einladung Enrico Berlinguers, dem PCI wieder bei. Luciana Castellina erlebte in ihren 94 Jahren den Aufstieg des PCI zur stärksten kommunistischen Partei Westeuropas, sie war jedoch ebenso Zeugin des tragischen Abstiegs und der Selbstauflösung der Partei. Über ihre Erfahrungen hat Mario Memoli sie im Zuge ihres Wien-Besuchs interviewt.

Mario Memoli: Luciana, du bist bereits in deiner Jugend, direkt nach der Zerschlagung des Faschismus in Italien dem PCI beigetreten. Was hat dich dazu bewegt?

Luciana Castellina: Meinen ersten Kontakt zur Kommunistischen Partei hatte ich nur wenige Tage nach der Befreiung Italiens (25. April 1945), bei einer Freiheitsdemonstration. Der Platz war voll von Arbeiter:innen und plötzlich wurde eine Rede gehalten, die mich sehr überzeugte. Es wurde von den Verbrechen der Faschist:innen an den Tito-Partisan:innen in Jugoslawien gesprochen. Und ich bemerkte: Der Redner war Kommunist. Ich wurde neugierig und kaufte gleich am nächsten Tag ihre Zeitschrift. In der Schule lernte ich dann ein Mitglied der Partei kennen, der mich in die Kulturzirkel des PCI in Triest einlud. 

Der PCI war ab 1954 bis inklusive der Parlamentswahlen 1987 stets zweitstärkste Partei, meist mit großem Abstand vor der Sozialistischen Partei. Was war das Rezept der Kommunistischen Partei Italiens, um zu einer Massenpartei mit durchschnittlichen Wahlergebnissen von rund 27% zu werden? 

LC: Jean-Paul Sartre hat einmal gesagt: „Endlich habe ich verstanden, was die Kommunistische Partei Italiens ist: sie ist Italien!“. Das beschreibt es treffend, der italienische Kommunismus wurde wirklich aus dem Inneren der Gesellschaft geboren und hat stets die Nähe zur Bevölkerung bewahrt. Die Menschen haben gespürt, dass er stark mit ihren Gewohnheiten, mit ihrer Kultur verwurzelt war und umgekehrt hat die Partei ein Gefühl für die Bewegungen entwickelt. Die Partei hat nach 1945 erkannt, dass keine revolutionäre Situation vorliegt und man eine Demokratie aufbauen muss. Davon ausgehend hat sie ihre Politik gemacht und zu ihrem Höhepunkt fast 2 Millionen Mitglieder gehabt.

Italien erlebte ab 1968 eine Welle der militanten Arbeiterbewegung: von Studierendenrevolten über Arbeitskämpfen bis hin zum linken Terrorismus. Die sogenannten bleiernen Jahre der „lotta armata“, des bewaffneten Kampfes. Wie hast du diese Entwicklung eines Teils der Linken erlebt?

LC: Das Jahr 1968 wird heute oft als mit Sex, Drugs und Rock’n’Roll verbunden. Das ist absolut falsch, zumindest für Italien! Hier entstand eine antiautoritäre Revolte, die explizit antikapitalistisch und stark mit Arbeitskämpfen in den Fabriken verbunden war. Aber dennoch, es war eine extrem wichtige Erfahrung. Wir verbinden es mit den „drei M“: Marx, Marcuse, Mao. Doch dann nahm die Entwicklung zwei Wege: einige zogen sich in den Individualismus zurück, andere griffen zur Waffe. Sie dachten, die Revolution wäre morgen möglich. Im Unterschied zum PCI, der gerne so tat, als wären die Linksterroristen lediglich Agenten von Außen, etwa der CIA, haben wir [Die Gründer:innen vonil manifesto, Anm.] sie sehr wohl ernst genommen. Wir haben erkannt, dass der Linksterrorismus, der bewaffnete Kampf, eine Reaktion aus der Bewegung war, wenn auch eine sehr, sehr falsche, die wir politisch bekämpften. Es schadete der Arbeiterbewegung nachhaltig.

Einer der prominentesten Akteur:innen des PCI war Enrico Berlinguer, der den PCI von 1972 bis 1984 leitete. Er gilt auch als stärkster Vertreter des sogenannten Eurokommunismus. Wofür stand Berlinguer für dich politisch?

LC: Berlinguer war es, der uns von il manifesto wieder eingeladen hat, in die Partei einzutreten. Er hat gemerkt, dass ein rechter Flügel an Einfluss gewinnt und wollte deshalb die Linke wieder aufbauen. Die friedenspolitische Position etwa, dass Europa eine autonome Position abseits der zwei Blöcke einnehmen soll, kam ja auch von uns und von der damals sehr starken Friedensbewegung. Er verkörperte hier die Forderung der Antikriegsbewegung und nannte es den „dritten Weg“. In seine Zeit fällt auch der „historische Kompromiss“, die Annäherung an die Christdemokrat:innen. Er erkannte jedoch später, dass dieser Weg ein Fehler war und hatte den Mut, das einzugestehen. Berlinguer war es außerdem der erste, der die Krise der italienischen Demokratie verstand und sie als solche benannte – eine Krise, die übrigens bis heute andauert. Und dann war es auch Enrico Berlinguer, der die Partei den sozialen Bewegungen, allen voran dem Feminismus öffnete.

Ab Ende der 80er ging es mit dem PCI schlagartig bergab, 1991 wurde die Partei schließlich umbenannt bzw. aufgelöst. Lucio Magri, der Genosse mit dem du Jahrzehnte deines politischen Weges gemeinsam gegangen bist, schreibt in seinem PCI-Geschichtsband „Der Schneider von Ulm“, dass mit der Auflösung des PCI nicht nur der Name der Partei geändert, sondern eine ganze Identität zerstört wurde. Was ist für dich diese spezifisch Kommunistische Identität?

LC: Der PCI ist wegen seiner Rolle, die er für die italienische Geschichte eingenommen hat ein schönes Beispiel einer gorßartigen Partei. Er war eine treibende Kraft der Entwicklung in der Gesellschaft, ebenso wie in der Politik. Hier lernten die Menschen, zu Protagonist:innen der Entwicklung, zu Subjekten der Politik und Veränderung zu werden. Wenn ich mich als Kommunistin bezeichne, dann bin ich das vor allem wegen dem italienischen Kommunismus, das schließt für mich übrigens den orthodoxen ebenso wie den nicht-orthodoxen ein.. Mit dem Aufgeben des K im Namen hat die Kommunistische Partei Italiens Suizid begangen: Sie hat nicht nur ihre Bezeichnung geändert, sondern die komplette Substanz ihrer Politik aufgegeben! Diese Entscheidung hat ein regelrechtes Trauma hinterlassen: 400.000 Parteimitglieder waren danach verstummt und von der politischen Bühne verschwunden. Als erster Akt der Nachfolgepartei [der “Partei der demokratischen Linken” aus der später die heutige Demokratische Partei hervorging; Anm. MM] wurde gleich dem italienischen Militäreinsatz im Irak zugestimmt. Die Auflösung als Kommunistische Partei, gegen die meine Genoss:innen und ich natürlich stimmten, war ein historisches Desaster.

In deinem Vortrag bei der KPÖ meintest du, die Kommunist:innen in Italien hätten in der Oppositionsrolle maßgebliche Erfolge und Verbesserungen erringen können. Als sie jedoch im Parlament in Quasi-Koalitionen Regierungen unterstützt haben…

LC: … haben sie eigentlich nur verloren, genau! Sowohl der PCI als auch später Rifondazione Comunista [eine Abspaltung, die bei der Auflösung des PCI gegründet wurde]. Das heißt nicht, dass man grundsätzlich auf staatlicher Ebene nie in Regierungskoalitionen gehen darf. Aber nicht um jeden Preis, es kommt sehr stark auf den spezifischen Charakter der Koalition an. Speziell im Kommunalen Bereich ist es etwas, das es möglich macht, neue – andere – Erfahrungen der Politik zu machen. So kann man das konstruieren, was Gramsci Kasematten nannte, quasi befestigte Stützpunkte in der Gesellschaft, von denen aus wir Macht aufbauen und Hegemonie erringen können. Ich glaube deshalb, dass die Erfahrungen, die ihr als KPÖ zum Beispiel in Graz macht, extrem wichtige sind.

Du bist seit 77 Jahren in der Politik. Gibt es etwas, das du künftigen Aktivist:innen und Genoss:innen mitgeben möchtest? Gibt es etwas, das dir heute Hoffnung gibt?

LC: Naja, wenn man sich die Situation der Linken weltweit anschaut, sieht es nicht gut aus. Ich glaube, das Wichtigste für linke und kommunistische Parteien heute ist es, anzuerkennen, in welch ernsten Krise der Kapitalismus steckt. Wir befinden uns an einem epochalen Wendepunkt. Man kann nicht einfach zurück in die Zeit des sozialdemokratischen Kompromisses und der Sozialpartnerschaft. . Und ebenso wenig kann man den expansiven Kapitalismus so weiterführen, denn er vernichtet, unsere ökologischen Grundlagen. Unterm Strich: Wir müssen die Revolution machen. Welche Form diese haben wird, darüber müssen wir diskutieren. Aber sicher ist: Es braucht einen Bruch mit der Kontinuität. Wir müssen erkennen: Wir sind an einem dramatischen Punkt in der Geschichte angekommen.

Vielen Dank Luciana, für deine Einblicke!

LC: Danke auch für eure Einladung!

Einen Mitschnitt der Veranstaltung in Wien gibt es hier zum Nachhören

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