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Elena Ellmeier: »Gerade die Handelspolitik offenbart die Doppelmoral der EU!«

Die Globalisierung ist in der Krise - Unabhängigkeit und der Schutz nationaler Wirtschaften stehen auf der Tagesordnung. Wenn es nach der EU geht, ist dieses Recht aber nur wenigen vorbehalten.

Im Zuge der geopolitischen Spannungen ist in der EU immer mehr die Rede vom Schutz der eigenen Wirtschaft – vor China, vor Russland und anderen Rivalen. Sich unabhängig machen lautet die Devise – zumindest vor selbsternannten Feinden. Es scheint dementsprechend nicht verwunderlich, dass Schutzzölle beispielsweise auf chinesische Fahrräder eingezogen und auch Handelshemmnisse für E-Autos aus China diskutiert werden.

Aufträge bei zentraler Infrastruktur gehen vorzugsweise an europäische Unternehmen, auch Verbote stehen im Raum. Mit Russland wurde der Handel -wenig überraschend- massiv eingeschränkt. Die Globalisierung scheint in der Krise zu sein.

Ist das Zeitalter des Neoliberalismus jetzt vorbei?

Nicht ganz.

Denn für Länder des globalen Südens soll anderes gelten, zumindest wenn es nach der EU geht. Sei es im Rahmen der Welthandelsorganisation oder bilateraler Handelsabkommen: Dem Protektionismus muss hier nach wie vor ein Ende gesetzt werden, freier Handel steht auf der Tagesordnung.

Zoomen wir hinein

Das Handelsabkommen mit Chile ist ein gutes Beispiel dafür, was in der Handelspolitik der EU nach wie vor schief läuft, einen tatsächlichen Paradigmenwechsel hat es de facto nicht gegeben.

So ist bei diesem bilateralen Abkommen auch wieder der Investitionsschutz enthalten mitsamt der berühmt berüchtigten Schiedsgerichtsklagen.

Was bedeutet das konkret?

Sollte Chile also Gesetze zum Schutz von Arbeitenden und Umwelt auf den Weg bringen, haben Konzerne die Möglichkeit zu Klagen, schließlich werden ihre Profite dadurch möglicherweise gefährdet. Eine Rekommunalisierung bzw. Verstaatlichung von beispielsweise kritischer Infrastruktur, wie Wasserversorgung ist somit ein gewagtes Unterfangen.

Exportmonopole und Preisdiskriminierung sind außerdem verboten. Das heißt, wenn Chile seine wertvollen Rohstoffe deutlich billiger an chilenische Unternehmen verkaufen will, ist mit Sanktionen zu rechnen. Eine eigenständige Entwicklung wird damit gravierend erschwert.

Aber immerhin ist so ein Abkommen fürs Klima gut oder?

Auch hier: Fehlanzeige.

Durch das Abkommen sollen vermehrt mit Pestiziden behandelte Agrarprodukte in die EU importiert werden. Produkte, die die EU de facto nicht notwendig hat und gleichzeitig den Lebensmittelstandards nicht standhält. Die eingesetzten Pestizide schaden Arbeiter:innen und der Bevölkerung hier und dort. Bizarrerweise sind es gerade europäische Unternehmen, die solche Pestizide nach Chile exportieren, nach Inkrafttreten des Abkommens wohl vermehrt. Auf der anderen Seite soll Chile Produkte aus der EU importieren, nicht nur Pestizide, sondern beispielsweise auch Autos – z.B Verbrennerautos. Für die Autolobby also eventuell eine gute Möglichkeit, einen neuen Absatzmarkt zu erschließen, sollte das Verbrenner-Aus in der EU 2030 tatsächlich in Kraft treten.
Aber das Abkommen beinhaltet ein Nachhaltigkeitskapitel, wo Umwelt- und Arbeitsstandards festgehalten sind.

Ist Entwarnung angesagt?

Auch hier hat die Sache einen Haken: Im Gegensatz zum Investitionsschutz – dem Schutz der Konzernprofiten – sind hier allerdings keine Sanktionen z.B Klagen vorgesehen. Leere Worte also wenn es um den Schutz von Arbeitenden und Umwelt geht. Eine freiwillige Durchsetzung von Standards hat sich bekanntlich nicht als sonderlich effizient erwiesen.

Und wie steht es nun um das Abkommen?

Das EU-Chile-Abkommen ist in den EU-Gremien bereits durchgegangen und muss normalerweise auch noch von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten abgesegnet werden. Ähnlich wie bei CETA, hat die EU dieses Abkommen aber aufgeteilt (gesplittet), wonach ein Teil des Abkommens ohne Zustimmung der Mitgliedsstaaten bereits implementiert werden kann. Eine gängige Praxis der EU, die demokratische Entscheidungsfindung und Institutionen aushebelt.

Das wohl bekanntere aber nicht weniger umstrittene EU-Mercosur- Abkommen ist ähnlich problematisch.
Eine Einigung würde das größte bilaterale Handels- und Investitionsabkommen beschließen. Der Mercosur umfasst 4 südamerikanische Länder – Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay.

Ziel dieses Abkommens ist der vermehrte Export von Pestiziden und verarbeiteten Produkten aus und Agrarprodukte wie Fleisch und Zucker in die EU. Für die Autoindustrie ein aufgrund der Größe des Mercosur umso interessanteres Unterfangen, um ihre Verbrennerautos doch noch anzubringen.

Die EU-Emissionen sollen einfach in den Globalen Süden exportiert werden – der Klimawandel darf jedenfalls nicht auf europäischen Boden stattfinden.
Die vermehrte Einfuhr von Billigfleisch und Agrarprodukten deutet in eine ähnliche Richtung. Die Abholzung des Regenwaldes, um neue Anbauflächen zu schaffen, wirkt sich massiv aufs Klima aus.
Aber auch Kleinbäuer:innen in Österreich und der EU geraten dadurch unter Druck, schließlich gibt es diese Produkte auch in der EU. Ein Beschäftigungsrückgang in diesen und anderen Bereichen ist entsprechend nicht auszuschließen, schätzungsweise rund 120.000 Arbeitsplätze könnten verloren gehen.
Aber auch in Brasilien wären die Auswirkungen auf die Arbeitenden verheerend: durch den vermehrten Einsatz giftiger Pestizide ist auch mit gesundheitlichen Schäden zu rechnen. Gerade der exportorientierte Agrarbereich, der durch Abkommen wie diese wachsen soll, weist sklavenähnliche Arbeitsbedingungen auf, wie Berichte zeigen.
Auch bei EU-Mercosur ist der Investitionsschutz mitsamt privater Schiedsgerichte enthalten und gefährdet so auch hier die öffentliche Daseinsvorsorge. Das Nachhaltigkeitskapitel ist in diesem Abkommen ebenso de facto nicht durchsetzbar und dementsprechend zahnlos.

Die gute Nachricht:

EU-Mercosur ist vorerst unter anderem aufgrund der Bauernproteste und Unstimmigkeiten zwischen den Verhandlungspartnern auf Eis gelegt – ganz abgewendet ist es allerdings nicht.

Ein neues Selbstbewusstsein

Die Konferenz der Welthandelsorganisation hat tiefe Risse in der globalen Weltordnung ans Licht gebracht. Das liegt wohl auch an dem neuen Selbstbewusstsein von Ländern des Globalen Südens, die durch das Erstarken Chinas und der zunehmenden Opposition der BRICS-Länder gegenüber dem Westen auf einmal eine Wahl in ihren Handelspartnern und politischen Verbündeten bekommen haben.

Das bekommen EU und USA auch zu spüren, wie sich bei den Diskussionen in der Welthandelsorganisation zeigt.
Nach wie vor pocht die EU gemeinsam mit den USA auf einen zollfreien Internethandel. Dieser verbietet es Staaten, Zölle auf jegliche im Internet gehandelten Produkte einzuführen- seien es Daten, CDs oder E-books. Erstmals sehr grundlegend hinterfragt wurde diese Regelung von Ländern des Globalen Südens, allen voran Indien.

Das Argument?
Big Tech Unternehmen würden dadurch begünstigt und der Aufbau eigener Big Tech Industrien erschwert. Außerdem betrifft der Internethandel bei einer zunehmenden Digitalisierung immer mehr Bereiche – eine Neuevaluierung ist deshalb mehr als überfällig. Durch den starken Widerstand des Globalen Nordens wurde der zollfreie Internethandel nichtsdestotrotz für die nächsten zwei Jahre fortgesetzt.

Offen bleibt, wie es nach diesen 2 Jahren weitergehen soll. Auch die Ausweitung von Ausnahmen für geistige Eigentumsrechte im Bereich der Therapien und Behandlungen für COVID sind mit der europäischen Handelspolitik wohl unvereinbar. Die verheerenden Konsequenzen dieser Politik werden gerne in Kauf genommen: Hohe Preise für medizinische Produkte und Behandlungen, die diese für viele Menschen in Entwicklungsländern unleistbar machen. Die blinde Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte in sämtlichen Bereichen bedient einmal mehr die Interessen der Konzerne und zementiert globale Missstände.
Für große Diskussionen sorgte auch der Wunsch Indiens nach einer Erhöhung der zulässigen Subventionen im landwirtschaftlichen Bereich (derzeit nach WTO-Recht auf 10% festgelegt).

Besonders in Ländern wie Indien, die nach wie vor mit Hungersnot im Land zu kämpfen haben, erscheint der unverhältnismäßig große Widerstand aus der EU und anderen Industrieländern besonders abstrus. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass die EU bekanntlich jährlich Milliarden an Subventionen für die Landwirtschaft bereithält.

Es zeigt sich immer mehr, dass der sogenannte “freie Handel” nichts als ein Vorwand ist, um globale Ungleichheiten zu betonieren. Die Politik der EU und des Globalen Nordens ist geprägt von Doppelmoral. Schutz der Wirtschaft vor Konkurrenten, Protektionismus und Zölle? Das ist den reichen Ländern vorbehalten. Anstatt weiter gegen China zu hetzen, sollte die EU vor der eigenen Haustür kehren – denn gerade ihre Politik treibt Entwicklungsländer nach wie vor in Abhängigkeiten.

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