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Daniel Witzani-Haim: Inflation und die Folgen – Was tun?

Die Inflationsrate geht nach Rekordwerten langsam zurück: Das WIFO prognostiziert nach 7,7% heuer eine durchschnittliche Inflation von 4% für 2024. Doch eine niedrigere Teuerungsrate bedeutet nicht, dass das Preisniveau sinkt. Davon sind insbesondere das untere Einkommensdrittel und Frauen betroffen, deren Ausgaben für Wohnen, Energie und Nahrung explodiert sind. Ein Kommentar von Daniel Witzani-Haim.

Die Inflation geht zurück – die Teuerungskrise hält an

Nach einer Rekordinflation von 8,6% im Jahr 2022 wird die Teuerung heuer bei ca. 7,7% liegen. Die Effekte der anhaltenden Teuerung insbesondere bei den Grundbedürfnissen Wohnen, Energie und Nahrung sind dabei besonders eklatant. Wohnen und Energie sind zwischen Mai 2021 und August 2023 um 27% teurer geworden, Nahrungsmittel um 24%.

Das österreichische Lohnsystem gleicht diese Teuerung erst im Nachhinein aus, da sich die Gewerkschaften und die WKÖ in den Kollektivvertragsverhandlungen auf die rollierende Inflation beziehen – dem Durchschnitt der Inflationsraten der letzten 12 Monate. So belief sich die Inflationsrate letztes Jahr im September auf 10,6%, die Metaller:innen verhandelten auf Basis der rollierenden Inflation von September 2021 bis August 2022, die bei 6,3% lag, und schlossen mit einem durchschnittlichen Plus von 7,4% ab. Nun hat sich das Verhältnis gedreht: Die Inflation im September 2023 betrug 6,1%, die rollierende Inflation hingegen beläuft sich auf 9,6%. Nur bei einem Abschluss über der rollierenden Inflation können die Reallohnverluste der vergangenen Monate aufgeholt werden.

Für das untere Einkommensdrittel waren die vergangenen zwei Jahre besonders herausfordernd. Ärmere Haushalte haben kaum bis keine Sparpolster, auf die sie zurückgreifen können. Die hohe Teuerung führt zu Konsumeinschränkung und unbezahlten Rechnungen. Die Einmalzahlungen der Bundesregierung und die Indexierung gewisser Sozialleistungen (große Ausnahme: das Arbeitslosengeld wurde nicht angepasst) hat die niedrigsten Einkommen etwas gestützt. Die Ausgaben sind jedoch im Verhältnis exorbitant stärker gestiegen. Das inflationsbedingten Mehrausgaben für das unterste Einkommenszehntel zwischen dem Beginn der Teuerungskrise im Mai 2021 und Juli 2023 beliefen sich auf 25% des Haushaltseinkommens. Den größten Brocken machen dabei die gestiegenen Wohn- und Energiekosten aus. Besonders hart betroffen sind Alleinerzieherinnen, die 2,4-mal mehr ihrer Einnahmen für Wohnen und Energie ausgeben müssen als ein Durchschnittshaushalt.

Armutsbedrohung steigt

Ein genaues Bild über die gestiegene Armut in Österreich fehlt uns. Denn die klassischen Armutsindikatoren beziehen sich auf das Einkommen und sind nur mit großer Verzögerung erhältlich. Sie berücksichtigen keine stark steigenden Ausgaben. Auf Basis des relativen Armutskonzepts der EU waren 2021 1,5 Millionen Menschen in Österreich von Armut oder Ausgrenzung gefährdet, darunter 316.000 Kinder, 2/3 aller Langzeitarbeitslosen und 1/3 aller Haushalte mit alleinerziehenden Eltern.

Die Statistik Austria erhebt durch die Quartalsumfrage „So geht’s uns heute“ die subjektiven Einschätzungen zu Armut. Im 2. Quartal 2023 gaben 1,2 Millionen Menschen an, dass sie in den nächsten drei Monaten Zahlungsschwierigkeiten bei Wohn- oder Energiekosten erwarten. Fast 8% der Befragten gaben an, dass sie sich nicht mindestens jeden zweiten Tag eine warme Hauptmahlzeit leisten konnten. Unter arbeitslosen Personen schaut die Situation noch düsterer aus: 63% können sich keine unerwarteten Ausgaben von €1.300 leisten, 41% sich keine Kleinigkeit gönnen.

Die Herausforderungen bei der Herbstlohnrunde

Die Gewerkschaften kämpfen in der aktuellen Herbstlohnrunde mit dem Problem, dass die Bundesregierung zu wenig preissenkende Maßnahmen gesetzt hat. Viele Forderungen gegen Gewinn-Preis-Spiralen blieben unerfüllt: Weder wurde ein Gaspreisdeckel noch ein effektiver Mietpreisdeckel eingeführt. Die Arbeitgeber:innenseite argumentiert, dass die relativ hohe Inflation in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern, die stärker auf temporäre Preiseingriffe gesetzt haben, die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie langfristig beeinträchtigt. Auch die Industrierezession belastet die Verhandlungen. Gleichzeitig ist klar, dass die Gewerkschaften nicht nur für einen Kaufkrafterhalt kämpfen, sondern für viele Menschen ein weiteres Abrutschen in die Armut verhindern müssen.

Arbeitskräfteknappheit nutzen

Ein strategischer Vorteil der Gewerkschaften ist die langsame Verschiebung der Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt. Die beginnende Arbeitskräfteknappheit bedeutet, dass die Kapitalseite weniger auf Arbeitslosigkeit als Druckmittel greifen kann. Die Streikbereitschaft der Belegschaften ist nach den entbehrlichen Jahren der Krisen hoch. Die Arbeitskräfteknappheit bietet eine Chance nicht nur auf höhere Löhne, sondern auch bessere Arbeitsbedingungen für vulnerable Gruppen wie Arbeitslose, benachteiligte Frauen am Arbeitsmarkt, Junge, Ältere und Menschen mit Behinderungen.

Im Kampf gegen die Teuerungskrise braucht es aber mehr als nur höhere Löhne. Ein armutsfester Sozialstaat sollte ein Recht auf soziale Sicherheit bieten, statt Almosen zu verteilen. Dafür muss insbesondere das Arbeitslosengeld und die Ausgleichszulage über die Armutsgefährdungsschwelle erhöht werden. Gegen die gestiegenen Preise braucht es endlich gezielte Preiseingriffe bei Mieten, Gas und Fernwärme und Lebensmittel.

Was braucht es noch? Eine stärkere Vermögensbesteuerung – insbesondere durch die Wiedereinführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern – könnten einen Ausbau des Sozialstaats, eine kritische Infrastruktur der Daseinsvorsorge und öffentliche Klimainvestitionen mitfinanzieren und die Ungleichheit reduzieren. Die Arbeitskräfteknappheit kann aber auch für den Kampf für das Recht auf gute Arbeit und eine längst überfällige Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich genutzt werden.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Volksstimme vom Oktober 2023 erschienen.

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Daniel Witzani-Haim

Daniel Witzani-Haim arbeitet als Ökonom in der Arbeiterkammer Wien, unterrichtet an der Wirtschaftsuniversität Wien, ist aktiv beim BEIGEWUM - Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen und leitet den Ökonomie-Arbeitskreis der KPÖ.

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