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Manfred Mugrauer:
»Die KPÖ setzte auf innerbetriebliche Lohnkämpfe«

Im Bild: Manfred Mugrauer.

Kommunist:innen spielten in den Protestbewegungen gegen Teuerungen stets eine wichtige Rolle. 1950 stand die KPÖ an der Spitze des Oktoberstreiks. Auch in den frühen 1970er Jahren waren kommunistische Aktivist:innen führend an innerbetrieblichen Lohnbewegungen beteiligt. Rainer Hackauf hat mit dem Historiker Manfred Mugrauer über Teuerungen und Streikbewegungen aus historischer Perspektive gesprochen.

Die KPÖ war nach der Befreiung Österreichs bis November 1947 in der Regierung vertreten. Einer der Gründe für ihren Austritt aus der Konzentrationsregierung bestand darin, dass die KPÖ die Teuerungspolitik nicht mehr mitmachen wollte?

Manfred Mugrauer: Entgegen der Hoffnungen der KPÖ gab es nach 1945 in Österreich keine sozialistische Entwicklung, sondern eine Restauration des Kapitalismus. Die Kosten für den Wiederaufbau wurden auf die Schultern der Werktätigen abgewälzt. Es waren vor allem die KommunistInnen in den Betrieben, die damals Proteste gegen die sozialen Belastungen organisierten. Nach dem Austritt aus der Figl-Regierung wurde die KPÖ zur wichtigsten oppositionellen Kraft gegen die kapitalistische Restauration. Der KPÖ gelang es damals, zehntausende ArbeiterInnen für ihre Interessen zu mobilisieren und Erfolge in den wirtschaftlichen Tageskämpfen zu erringen.

Im Mittelpunkt der damaligen kommunistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik standen die Lohnkämpfe. Ursache der Arbeitskämpfe waren das Auseinanderklaffen von Löhnen und Preisen sowie die gestiegenen Lebenshaltungskosten der arbeitenden Menschen – eine Entwicklung, der die Gewerkschaftsführung keinen Widerstand entgegensetzte. Stattdessen wurden zwischen 1947 und 1951 zwischen Regierung, Gewerkschaft und Wirtschaftskammer fünf Lohn-Preis-Abkommen abgeschlossen, die massive Reallohnverluste für die ArbeiterInnen und Angestellten zur Folge hatten. Die Preise stiegen stark an, die Löhne blieben jedoch zurück.

Welche konkreten Forderungen hat die KPÖ damals erhoben?

Manfred Mugrauer: Neben der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und der Großbanken lautete eine der damaligen Hauptforderungen der KPÖ: „Weg mit der Nazilohnsteuer“. Niedrige Einkommen unter 2.400 Schilling jährlich sollten völlig von der noch aus der NS-Zeit stammenden Lohnsteuer befreit werden, bei darüber liegenden Einkommen sollte die Lohnsteuer um die Hälfte gesenkt werden. Stattdessen sollten eine Vermögenssteuer und eine Vermögenszuwachsabgabe eingeführt werden. Ganz im Gegensatz dazu hatte die im November 1947 beschlossene Währungsreform zur Folge, dass die Konten der kleinen SparerInnen entwertet, die großen Vermögen, die in Sachwerten und Devisen veranlagt waren, aber unangetastet blieben. Eine Vermögensabgabe wurde nicht beschlossen.

Als Ausgleich für die Teuerung forderte die KPÖ eine 25-prozentige Lohnerhöhung und einen Preisstopp. Rund um diese Forderungen wurden 1948/49 Protestbewegungen in den Betrieben organisiert. Im Mai 1949 demonstrierten österreichweit mehr als 200.000 Menschen gegen das 3. Lohn-Preis-Abkommen. Als die Preise im September und Oktober 1949 erneut gewaltig anstiegen, wurde das Eintreten für eine Teuerungszulage zur Hauptlosung der KPÖ. Die Bewegung für eine einmalige „Überbrückungshilfe“ in der Höhe von 600 Schilling entwickelte sich im Herbst 1949 zur größten Lohnbewegung der österreichischen ArbeiterInnenschaft seit der Befreiung im April 1945, in deren Verlauf mehrere Proteststreiks und Demonstrationen stattfanden.

Der Oktoberstreik gegen das 4. Lohn-Preis-Abkommen im Jahr 1950 war die bis dahin größte Streikbewegung der Zweiten Republik. Was waren die damaligen Forderungen der KPÖ? Welche Rolle spielte die Partei in der Streikbewegung?

Manfred Mugrauer: Der Oktoberstreik war der Höhepunkt der sozialen Auseinandersetzungen der Nachkriegsjahre. Das im September 1950 beschlossene 4. Lohn-Preis-Abkommen brachte massive Teuerungen bei den Grundnahrungsmitteln wie Brot, Mehl, Zucker und Getreide sowie bei Kohle und Strom. Deren Preise stiegen um bis zu 60 Prozent, während die Löhne demgegenüber um nur zehn bis 14 Prozent anstiegen. Die daraus resultierenden Reallohnverluste sorgten bei breiten Teilen der ArbeiterInnen für Empörung.

Der Oktoberstreik war zwar eine spontane Streikbewegung, kommunistische GewerkschafterInnen und BetriebsfunktionärInnen hatten aber einen führenden Anteil daran, dass sich die Proteste zu einem Massenstreik ausweiteten. Die KPÖ forderte die Zurückziehung der Preiserhöhungen, die Verdoppelung der vorgesehenen Lohnerhöhung sowie einen gesetzlichen Preisstopp. Unter der Parole „Weg mit dem Preistreiberpakt“ traten schließlich etwa 190.000 ArbeiterInnen in den Streik. Die Regierung blieb jedoch hart und lehnte jegliche Verhandlungen mit den Streikenden ab.

Welche Auswirkungen hatte die Niederschlagung des Streiks durch die ÖGB-Führung?

Manfred Mugrauer: Bereits in den Streiktagen ging es Regierung, Parteien und Gewerkschaften darum, den Streik als alleiniges Werk kommunistischer AgitatorInnen darzustellen und als kommunistischen Putschversuch zu denunzieren. Jahrzehntelang dominierte in Politik, Wissenschaft und Medien die „Putschlegende“, wonach es der KPÖ im September und Oktober 1950 um einen gewaltsamen Umsturz gegangen sei. Legitimer Protest gegen soziale Belastungen sollte im linkslinken Eck isoliert werden. Knapp 80 Streikende, überwiegend kommunistische GewerkschaftsfunktionärInnen, wurden aus dem ÖGB ausgeschlossen. Die Streikbewegung konnte zwar ihr Ziel, das 4. Lohn- und Preis-Abkommen zu Fall zu bringen, nicht erreichen. Ein langfristiger Erfolg des Streiks bestand aber darin, dass in den folgenden Jahren keine vergleichbaren Belastungen folgten.

Die 1950er und 1960er Jahre waren durch einen wirtschaftlichen Aufschwung geprägt. Es kam zur längsten Konjunkturperiode der Nachkriegsgeschichte. Anfang der 1970er Jahre wurde das Thema „Teuerungen“ wieder aktuell. Wie hat die KPÖ darauf reagiert?

Manfred Mugrauer: Die Teuerung erreichte Anfang der 1970er Jahre neue Rekordhöhen und wurde zur Haupterscheinung der kapitalistischen Entwicklung. Ende der 1960er Jahre hatte es einen fast völligen Stillstand bei Lohnkämpfen und gewerkschaftlichen Forderungen gegeben, nun aber wurde klar, dass es ohne höhere Löhne nicht möglich sein werde, den Lebensstandard zu halten. Nur Lohnerhöhungen konnten dem Reallohnverlust infolge der Teuerung entgegenwirken. Ein weiterer Faktor für den Aufschwung der Lohnbewegungen in den frühen 1970er Jahren war die Enttäuschung auch in den Reihen der SPÖ über die Kreisky-Regierung, die trotz ihrer absoluten Mehrheit an den sozialpartnerschaftlichen Spielregeln festhielt.

Trotz großer Ankündigungen waren tiefgreifende Änderungen ausgeblieben.
Die KPÖ forderte angesichts der Teuerung eine aktive Lohnpolitik, also Lohnerhöhungen auf Kosten der Unternehmerprofite, eine volle Abgeltung der Teuerung als Überbrückung für die bisherigen Preissteigerungen, einen Preisstopp für alle lebenswichtigen Waren und Mieten sowie die volle Abgeltung der gestiegenen Produktivität. Insgesamt ging es darum, eine Umverteilung zugunsten der arbeitenden Bevölkerung zu erreichen. Eine wichtige Initiative der KPÖ im Kampf gegen die Teuerung war das Eintreten für eine Lohnsteuerreform. Im Frühjahr 1972 wurden zu diesem Zweck in Betrieben und Büros mehr als 85.000 Unterschriften gesammelt, die dem Bundeskanzler und Finanzminister übergeben wurden.

In den 1970er Jahren kam es auch wieder vermehrt zu Streiks. Welche Rolle spielte dabei die KPÖ?

Manfred Mugrauer: Die KPÖ setzte damals auf innerbetriebliche Lohnkämpfe, also darauf, dass sich die ArbeiterInnen in den Betrieben das zurückholen, was ihnen bei den Kollektivvertragsverhandlungen vorenthalten wurde. Anfang der frühen 1970er Jahre gab es dann tatsächlich eine Vielzahl an Protestaktionen und Lohnbewegungen in den Betrieben. Die größte Rolle für die KPÖ spielte der Böhler-Streik im niederösterreichischen Ybbstal im Juli 1973 und der Hukla-Streik – in einer Polstermöbelfabrik in Wien-Favoriten – im Mai und Juli 1974. Beide Male ging es um innerbetriebliche Lohnforderungen, die die Unternehmer nicht zu erfüllen bereit waren.

Einen wichtigen Faktor bei diesen Streik- und Protestbewegungen spielte erneut der ÖGB…

Manfred Mugrauer: Der Böhler-Streik war ein von der Gewerkschaft nicht anerkannter „wilder“ Streik. Obwohl es sich um einen verstaatlichten Betrieb mit SPÖ-Betriebsratsmehrheit handelte, machte die Gewerkschaft mit den Unternehmern gemeinsame Sache. Auch beim Hukla-Streik fiel die Gewerkschaftsbürokratie der Belegschaft in den Rücken und würgte den Streik ab. Beide Streikbewegungen wurden von ÖGB und SPÖ als „von Kommunisten eingefädelte Aktion“ verunglimpft. Aus Sicht der KPÖ ging es damit bei diesen Streiks nicht nur um betriebliche Forderungen, sondern auch um Streiks gegen die Sozialpartnerschaft.

Insgesamt stand den kommunistischen Forderungen die sozialpartnerschaftlich orientierte Lohnpolitik der Gewerkschaften gegenüber, also die Tatsache, dass der ÖGB nicht auf eine aktive, sondern auf eine „umsichtige“ Lohnpolitik setzte. Angesichts dessen kritisierte die KPÖ das Zurückweichen des ÖGB vor den Unternehmern. Wie schon in den Jahren davor – und auch danach – wurde der ÖGB seiner Rolle als Interessenvertretung der arbeitenden Menschen im Kampf gegen die Teuerung und für höhere Löhne und Gehälter kaum gerecht, sondern er war vielmehr ein Organ der Sozialpartnerschaftspolitik. Der ÖGB fungierte als Ordnungsmacht, um die ArbeiterInnenschaft vor Aktionen zurückzuhalten. Dies spiegelte sich auch in der Maßregelung einzelner kommunistischer Betriebsräte wider, die in den 1970er Jahren – etwa in den verstaatlichten Konzernen Böhler und Elin-Union – stark zunahmen. In keinem dieser Fälle hat der ÖGB die Gemaßregelten unterstützt, sondern im Gegenteil haben sich die SPÖ-Betriebsräte am Vorgehen gegen kommunistische Betriebsräte aktiv beteiligt.

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Manfred Mugrauer

Manfred Mugrauer ist wissenschaftlicher Sekretär der Alfred Klahr Gesellschaft. Jüngste Buchveröffentlichung: Die Politik der KPÖ 1945–1955. Von der Regierungsbank in die innenpolitische Isolation.