Heidi Ambrosch: »Bei jedem politischen Thema fragen, was es für weibliche Lebenszusammenhänge bedeutet«

Vom 16.-18. November hat die 5. MarxFem Konferenz in Warschau stattgefunden. KPÖ-Frauensprecherin Heidi Ambrosch im Gespräch über die Konferenz, Queerfeminismus und sozialistische Perspektiven.

Du warst von der ersten MarxFem-Konferenz an mit dabei. Was waren die Beweggründe, eine marxistisch-feministische Konferenz ins Leben zu rufen?

Heidi Ambrosch: Die deutsche Soziologin und Philosophin Frigga Haug war – unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung – die Initiatorin der ersten Konferenz 2005 in Berlin. Frigga Haug ist wissenschaftliche Leiterin der Feministischen Sektion des Instituts für kritische Theorie (InkriT), das auch das historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus herausgibt. Mit ihren Kontakten in aller Welt entwarf sie Thesen, um den bisherigen Stand der marxistisch-feministischen Diskussionen zusammenzufassen, nicht als Dogma, aber als eine Art internationales Fundament für die Vertiefung der Debatten. Die dreizehn Thesen findet man auf der Homepage von MarxFem, sie wurden schon in viele Sprachen übersetzt.

Die Konferenz wechselt von Mal zu Mal den Austragungsort. Wer sind die Organisatior:innen? Wer sind die Unterstützer:innen auch jeweils vor Ort?

Seit der zweiten Konferenz in Wien 2017 ist transform! Europe und seine Mitgliedsorganisationen Hauptträgerin der Konferenzen. Vor Ort entstehen Vorbereitungskomitees, einerseits zur Mobilisierung von wissenschaftlicher Expertise, andererseits um die organisatorischen Herausforderungen zu bewältigen.

Auch in der Linken wird Feminismus oft als Thema von eingeschränkter Relevanz angesehen. Wie hat sich das in Warschau dargestellt, wer waren die Teilnehmer:innen?

Auf allen Konferenzen herrschte Einigkeit – linke Politik ist feministisch oder sie ist nicht links. Die meisten Teilnehmer:innen kamen, wie zu erwarten, aus Polen. Ein wesentlicher Grund, warum wir die Austragungsorte wechseln, weil wir dann jeweils viele neue Interessierte erreichen. Die Mehrheit kam aus Europa, zu unserer Freude, doch viele auch aus Osteuropa. Aber wir hatten auch Teilnehmer:innen aus Nord- und Südamerika, Asien, eine aus Neuseeland.

Welche Themen wurden auf der Konferenz diskutiert?

Die Themen bei der Konferenz waren sehr vielfältig. Fürsorge und Reproduktion in neoliberalen Gesellschaften und damit verbunden Ausbeutung der Reproduktionsarbeit und Liebesmacht etwa. Zum anderen ging es um reproduktive (Un-)Gerechtigkeit, beispielsweise in Bezug auf Technologien und rechtliche Rahmenbedingungen um Leihmutterschaft, In-vitro-Fertilisation, Adoption usw. Damit verbunden ging es aber auch um “Geburtsstreik”, Umwelt und Nativität, LGBTQIA+-Rechte, Migration, Behinderungen und die Politik des Nationalstaats.
Zudem gab es auf der Konferenz einen kritischen Blick auf zeitgenössische Kapitalismen und damit auf Digitalisierung, Prekarisierung, Externalisierung von Sorgearbeit und Produktion, Klimakrise, Überwachung und Grenzindustrien. Der Körper als Ware und Schlachtfeld als Folge von Ausbeutung, Gewalt und Biotechnologie. Ein weiterer Schwerpunkt war das Thema Gesundheitswesen und Altenpflege in der Welt nach der Pandemie und der Privatisierung von Gesundheitsdiensten.
Unter dem Titel »Ist Intersektionalität genug?« wurde die Aktualität der schon erwähnten dreizehnten Thesen in Bezug auf den Zusammenhang von Klasse-Rasse-Geschlecht in einer marxistisch-feministischen Perspektive heute diskutiert. Aus aktuellem Anlass waren natürlich auch Frauen in militärischen Konflikten Thema, wie etwa Rosa Luxemburgs vergessene Warnungen. Aber natürlich auch Formen und Strategien des zeitgenössischen Widerstands, wie Internationaler Frauenstreik, Flüchtlingsnetzwerke und -solidaritäten oder auch gewerkschaftliche Organisierung als Aktivismus und Politik.

Es gibt viele unterschiedliche feministische Strömungen. Der marxistische Feminismus ist eine davon. In letzter Zeit wurde aber viel über eine andere Strömung diskutiert, den sogenannten »Queerfeminismus«. Was kann der marxistische Feminismus vom Queerfeminismus lernen und umgekehrt? Wo gibt es Unterschiede?

Die genannten Themen verdeutlichen, dass auch queerfeministische Positionen bei unseren Marx Fem-Konferenzen Platz haben. Die Literaturwissenschaftlerin Gayatri Spivak hat in ihrem Eröffnungsvortrag darauf hingewiesen, dass die marxistische These, Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu begreifen, differenzierter zu betrachten ist. Umgekehrt, was uns von einigen queeren Ansätzen trennt, bleibt wohl die Forderung aus marxistisch-feministischer Sicht, dass die analytische Kategorie Frau deshalb nicht gestrichen werden kann.

Feministische Ansätze haben unsere marxistische Klassenanalyse stark erweitert. Es geht nicht nur um Lohnkämpfe in den Betrieben, sondern auch um Klassenkämpfe gegen Ausbeutung in der sogenannten Reproduktion – also von Kämpfen gegen hohe Mieten bis zur Auseinandersetzung um unbezahlte Arbeit etwa in Pflege oder Kinderbetreuung. Wie können wir uns eine andere Gesellschaft vorstellen? Wie schaut ein feministischer Sozialismus aus?

Die Vier-in-Einem Perspektive in den Thesen ist eine solche Zukunftsvision. Sie bedeutet, dass alle zur Weiterentwicklung einer Gesellschaft notwendige Arbeit erfasst und auf alle aufgeteilt wird. Das erfordert eine radikale Lohnarbeitszeitverkürzung auf 20 Stunden pro Woche, damit für alle Zeit für die Reproduktionsarbeit bleibt, wie auch für die persönliche Weiterentwicklung und für politische Gestaltung.

Am 30. November gab es im Baskenland einen feministischen Generalstreik, der von Gewerkschaften unterstützt wurde. Wann ist es bei uns soweit? Welche Bündnisse gilt es zu schmieden, um dahin zukommen?

In verschiedenen feministischen Initiativen wie auch bei »fair sorgen!« wird das diskutiert. Die größte Herausforderung ist die sehr patriarchal organisierte Gewerkschaft, die es selbst bei den Kollektivvertragsverhandlungen nicht in Zeiten wie diesen, nicht schafft hat, einen Generalstreik auszurufen. Gerade die Branchen, in denen oft Frauen arbeiten, unter besonders schlechten Kollektivverträgen mit niedrigen Löhnen, würden davon profitieren. Aber wir sind im ständigen Kontakt und Austausch.

Die KPÖ sieht sich schon seit Jahrzehnten auch als feministische Partei. In vielen unserer Positionen ist das auch sichtbar. Wird das aber auch mit Leben gefüllt? Wo siehst du als Frauensprecherin Lücken oder Nachholbedarf in unserer Partei?

Seit dem großartigen Salzburger Ergebnis hatten wir eine Vielzahl von Neubeitritten, aber mehrheitlich von Männern. Das bedeutet auch, dass es einen Mangel an weiblichen Sichtweisen in den Diskussionen gibt. In der Arbeitsgemeinschaft Feminismus – kurz ArgeFem – in Wien machen wir die Erfahrung, dass es eigener feministischer Strukturen bedarf, um das zu ermöglichen. Was aber wiederum nicht selten wieder doppelte Belastung bedeutet. Daher wünsche ich mir in erster Linie, dass sich unsere männlichen Genossen mit feministischen Positionen beschäftigen. Dass sie sich bei jedem politischen Thema fragen, was es für weibliche Lebenszusammenhänge bedeutet bzw. sie sich eine entsprechende Expertise einholen.

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