Auf dem Weg zur Amerikanisierung unserer Gesundheitsversorgung

Zerschlagen sie unser Gesundheitssystem?

Ich habe mich aus Sicherheitsgründen von Elga abgemeldet. Das Video, das Strache auf Ibiza zeigte, wie er die halbe Republik verscherbeln wollte, hat mich in dieser Entscheidung bestärkt. Denn wer weiß, was eine blaue Regierung in Zukunft mit meinen Gesundheits- oder Krankendaten alles anstellen könnte. Die Umbenennung von Krankenkasse in Gesundheitskasse war purer Etikettenschwindel, der den Versicherten teuer zu stehen kam. Nicht nur was die Kosten der Zusammenlegung der ASVG-Versicherten Gebietskrankenkassen betrifft, sondern auch die laufende Politik dieses nunmehrig zentral geführten Versicherungsmolochs.

Haben es die Gewerkschaftsbürokraten vermasselt?

Unter der türkis-blauen Regierung hatte man im Zuge der Zusammenlegung der Kassen aber im Sinne altbewährter Klientelpolitik den Beamten, LehrerInnen und Gemeindebediensteten natürlich ihre eigenen Kassen gelassen. Diese Zielgruppe wollte man nicht vergraulen. Die Gewerkschaften waren enttäuscht darüber, dass es nicht stärkere Proteste gegen die Eingriffe in die Selbstverwaltung der Kassen gab. Aber warum hätten die Versicherten gegen etwas protestieren sollen, das sie nicht kannten? Die vielgepriesene
Selbstverwaltung wurde auf ArbeitnehmerInnenseite doch jahrzehntelang nur durch Gewerkschafts- und ArbeiterkammerfunktionärInnen wahrgenommen bzw. wurde diese in keiner Weise mit den Menschen kommuniziert. In Deutschland hingegen können die VertreterInnen in der Selbstverwaltung gewählt werden. Kein Wunder also, wenn in Österreich sich die Menschen nicht für etwas engagieren, auf das sie sowieso keinen Einfluss haben.

Von Bismarck zum österreichischen Wahlarztsystem

Die im 19. Jahrhundert eskalierende „soziale Frage“ führte schließlich in Deutschland dazu, dass dort unter Reichskanzler Bismarck 1885 eine verpflichtende Krankenversicherung für Industrie- und Landarbeiter eingeführt wurde. Nicht etwa, weil den Reichskanzler unter Kaiser Wilhelm plötzlich das soziale Gewissen geplagt hätte. Es ging vielmehr darum, das aufbegehrende verarmte Proletariat ruhig zu stellen und revolutionäre Entwicklungen im Keim zu ersticken. In Österreich verlief die Entwicklung nicht viel anders: Vorläufer für die gesetzliche Sozialversicherung waren hier die bereits im Mittelalter entstandenen Knappschaftskassen und Bruderladen, die als Solidaritätsmodell für Bergarbeiter und Handwerker eine gewisse Sicherheit boten.
Seit vielen Jahren läuft nun schleichend die Demontage unseres Sozialversicherungssystems. Die ständige Propagierung der privaten Pensionsvorsorge auf dem Kapitalmarkt genauso wie private Zusatzkrankenversicherungen werden den Menschen als unabdingbare Notwendigkeiten angetragen. Egal ob Reinigungspersonal oder akademisches Personal – sie alle sind Zielgruppe und kaum jemand wehrt sich dagegen. Anders als zu Zeiten Bismarcks scheint der soziale Frieden nicht in Gefahr, da die Gewerkschaften stillhalten. Noch vor 10 Jahren meinte ich, ich würde keine Privatärzte in Anspruch nehmen, da ich ja Krankenversicherung zahle und daher Anspruch auf alle Kassenleistungen habe. Heute
habe ich einen Zahnarzt, eine Hautärztin und einen Augenarzt – alle ohne Kassenvertrag.
Als meine Gynäkologin in Pension ging, versuchte ich in der Linzer Innenstadt eine Gynäkologin mit Kassenvertrag zu finden. Es gäbe schon welche, aber sie nehmen „keine neuen Patientinnen mehr“. Bei meinem privaten (!) Augenarzt wartete ich fünf Monate auf einen Termin. Das war ein Glück, weil ich als langjährige Kundin bevorzugt behandelt wurde. Neue müssen bei ihm nämlich sechs Monate warten.
Das Wahlarztsystem ist für die Gesundheitskasse ein Riesengewinn, weil sie nur 80 Prozent jenes Tarifes erstattet, den sie einem Vertragsarzt für diese Leistung bezahlt. In der Regel bekommt man daher meist nur 60 Prozent der entstandenen Kosten zurück. Verständlich, dass die Kasse kein Interesse daran hat, die Kassenverträge attraktiver zu gestalten. Die Leidtragenden sind die Versicherten, die für ihre Beiträge immer weniger an Leistung bekommen. Und da denk ich noch nicht einmal an den Selbstbehalt bei Medikamenten.

Reparaturkosten statt Prophylaxe

Je älter man wird, desto gesundheitsbewusster wird man. Man hört auf zu rauchen, man geht zu Vorsorgeuntersuchungen, zur Mundhygiene und zum Impfen. Doch die Gesundheitskasse verdient diesen Namen nicht, zahlt sie doch lieber erst dann, wenn schon ein Krankheitsfall eingetreten ist. Dazu zwei Beispiele: Mundhygiene: diese wird von der Kasse sehr empfohlen und beworben – aber nicht bezahlt. Die Begründung: „Die Kosten werden nur übernommen, wenn der Zahnarzt selbst die Mundhygiene durchführt.“ – Nur: das macht kein Zahnarzt, sondern die dafür eigens ausgebildeten Mundhygieneassistentinnen. Selbst in Kassenambulatorien ist für die Mundhygiene zu bezahlen.
Oder Gürtelrose-Impfung: diese wird im Nationalen Impfplan für Menschen ab fünfzig Jahren sehr empfohlen, wird im Fernsehen und auf Plakaten beworben – aber die Krankenkasse zahlt sie nicht! Da zahlt sie lieber einen zehntägigen stationären Krankenhausaufenthalt, wenn der Herpes Zoster ins Auge geht – so geschehen bei einer Freundin – als die 400 Euro für die beiden Teilimpfungen. Dass ein zehntägigier Krankenhausaufenthalt um ein Vielfaches teurer ist als die Impfung scheint den Gesundheitsökonomen kein Problem zu sein. Da die ÖsterreicherInnen sich ohnehin zu Impfmuffeln entwickelt haben, bestünde auch nicht die Gefahr, dass durch diese Impfung plötzlich eine Kostenlawine über die Kasse hereinbrechen könnte. Interessant: die Lehrerkrankenkasse übernimmt die Impfkosten genauso wie die Kosten für Mundhygiene.
In den USA sucht man sich gerne einen Betrieb, der eine Krankenversicherung bietet. In Österreich müssen wir uns bald einen Beruf suchen, der eine Versicherung bei den Lehrern oder Beamten zur Folge hat. Neoliberale Gesundheitspolitik nicht erst seit schwarz-blau bzw. schwarz-grün Bereits unter sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung hat eine schleichende Zersetzung unseres Gesundheitssystems begonnen: Unattraktive Kassenverträge führten zu einer „drei-Minuten-und-dann-ein-Rezept“ Medizin – da kann man gleich Doktor Google fragen und sich über eine online-Apotheke versorgen. Oder eben eine Wahlarztpraxis aufsuchen, wo sich jemand dreißig Minuten Zeit nimmt und alles ordentlich ab- und erklärt. Und dann zahlt die Krankenkasse nur 60 Prozentt des Betrages zurück, den sie bei einem
Kassenvertrag bezahlt hätte! Ein gutes Geschäft für die Kasse.
Da wundert es niemanden mehr, dass sich die Versicherten nicht für die Beibehaltung der Selbstverwaltung eingesetzt haben. Wozu auch, wenn alles demontiert wird und die Selbstverwaltung als solche ein völlig unbekanntes Wesen ist.