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Elke Kahr:
»Es geht nicht um meine Person, sondern um das, wofür wir eintreten.«

Am 17. November letzten Jahres wurde Elke Kahr als Bürgermeisterin in Graz angelobt. Damit ist sie nicht nur die erste kommunistische Bürgermeisterin Österreichs, sondern auch die erste Frau an der Spitze der Grazer Stadtpolitik. Ein historischer Moment, wie KPÖ-Vorsitzender Hopfgartner es damals in seinem Kommentar nannte. Rainer Hackauf hat der Bürgermeisterin anlässlich ihres einjährigen Amtsjubiläums ein paar Fragen zu kommunistischer Kommunalpolitik gestellt.

Von der Stadträtin zur Bürgermeisterin, Du bist nun ein Jahr im Amt, wie hat sich dein Alltag dadurch verändert?

Elke Kahr: Die alltäglichen Aufgaben sind dieselben geblieben: Bei uns finden die Grazerinnen und Grazer immer ein offenes Ohr und können mit ihren Anliegen immer kommen. Zu den bisherigen Aufgaben sind neue dazugekommen, die das Amt der Bürgermeisterin mit sich bringt, etwa der Empfang von Staatsgästen, Ehrungen, Vertretungen der Stadt nach außen. Auch das mediale Interesse ist größer geworden. Dadurch sind die Arbeitstage länger geworden, denn für persönliche Gespräche nehme ich mir immer die nötige Zeit.

Von der Oppositionspartei zur Regierungspartei – war die Umstellung für die KPÖ schwierig? Wie ist euch das gelungen?

Elke Kahr: 1998 ist Ernest Kaltenegger nach unserem damals überraschenden Wahlerfolg zum ersten Mal Wohnungsstadtrat geworden. Wir sind seit damals immer in Ressortverantwortung gewesen und deshalb mit den Aufgaben gut vertraut – aber natürlich ist es ein Unterschied, wenn man in einer Koalition nun die Verantwortung für die ganze Stadt trägt. Das ist angesichts der Rahmenbedingungen keine einfache Aufgabe, aber jene Parteien, die bisher die Bürgermeister gestellt haben, kochen auch nur mit Wasser.

Die Praxis der KPÖ war jahrelang auf Basispolitik und direkten Kontakt mit Bürger:innen orientiert. Wie geht man damit als Bürgermeisterinnen-Partei um?

Elke Kahr: Nicht anders als vorher. Die Leute in Graz wissen, dass die Vertreterinnen und Vertreter der KPÖ, sei es auf Infoständen, in den Bezirksräten oder im Gemeinderat immer für sie da sind. Ich mache wie früher Sprechstunden, versuche, die Probleme, mit denen Leute zu mir kommen, zu meinen eigenen zu machen und alle so gut es geht bei ihren Anliegen zu unterstützen.

Welcher Punkt in eurem »Programm für Graz« liegt dir besonders am Herzen?

Elke Kahr: Wir leben in einer Zeit, die von mehreren schweren Krisen geprägt ist: die extreme Teuerung, die noch einmal enorm gestiegenen Kosten des täglichen Lebens, den Krieg Russlands in der Ukraine, die Folgen des Klimawandels, die man auch auf kommunaler Ebene spürt. Am wichtigsten ist es, in einer solchen Zeit den sozialen Zusammenhalt zu stärken und alles in den Möglichkeiten einer Gemeinde Stehende zu tun, dass die Menschen den Alltag bewältigen können. Dafür ist in manchen Bereichen ein Umdenken nötig, denn die Krise trifft nicht nur all jene, die schon früher finanzielle Sorgen gehabt haben, sondern sie reicht weit in den Kreis jener hinein, die über ein regelmäßiges Einkommen verfügen und bisher gut über die Runden gekommen sind.

Die aktuelle Teuerungswelle ist das bestimmende Thema. Schon zu deinem Antritt war absehbar, dass hohe Energiepreise Thema sein werden. Das Ausmaß ein Jahr später ist aber doch überraschend. Welche Schritte hast du auf kommunaler Ebene gegen die Teuerungen gesetzt?

Elke Kahr: Wir haben überall dort, wo es die Stadtregierung direkt beeinflussen kann, die Gebührenerhöhungen ausgesetzt, etwa bei Müll und Kanal. Auch die Mieten der stadteigenen Gemeindewohnungen wurden nicht erhöht und der Preis der ÖV-Jahreskarte wurde eingefroren. Bei den Bäderpreisen haben wir neue, sozial verträgliche Tarife festgelegt. Die Stadt handelt aber innerhalb eines engen Budgetkorsetts – Graz bekommt von allen großen Städten Österreichs im Finanzausgleich pro Kopf den geringsten Anteil, was unseren Spielraum weiter verkleinert.
Daneben haben wir neue, unbürokratische Unterstützungsmöglichkeiten wie etwa den „Graz hilft“-Fonds geschaffen und ausgebaut, teilweise finanziert aus Mitteln, die durch die Kürzungen für die Parteien im Rathaus frei geworden sind.

Gemeinden haben natürlich nur einen eingeschränkten Spielraum. In welchen Bereichen wäre die Bundesregierung gefordert Maßnahmen gegen die Teuerung zu treffen?

Elke Kahr: Besonders im Bereich der Strom- und Heizkosten brennt der Hut, aber für viele wird auch der tägliche Einkauf zu einer bisher nicht gekannten Belastung. Die Situation, in der wir uns befinden, zeigt einmal mehr, dass der sogenannte „freie Markt“ nicht im Interesse der großen Mehrheit funktioniert. Es gilt nicht nur, Maßnahmen zur Symptombekämpfung zu treffen, es ist ebenso wichtig, aus diesen Erfahrungen Lehren zu ziehen und sich für solche Situationen besser zu wappnen. Vollkommene Unabhängigkeit ist eine Illusion, aber die wesentliche Infrastruktur muss die öffentliche Hand aus eigener Kraft erhalten können.

Als Kommunistin schlägt dir natürlich auch immer wieder medialer Gegenwind entgegen. Bei deinen Wähler:innen scheint das aber nicht zu verfangen, wenn man sich aktuelle Umfragewerte von dir oder der KPÖ in der Steiermark ansieht. Wieso gibt es diese Diskrepanz?

Elke Kahr: Umfragen sind immer mit Vorsicht zu genießen, es gibt keine Garantie, dass Wahlen gut ausgehen. Das kann nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen und mit vollem Einsatz dabei sind, und wenn die Menschen spüren, dass tatsächlich in ihrem Interesse gearbeitet wird. Medialen Gegenwind haben wir immer gehabt, manchmal schärfer, manchmal weniger. Dass wir oft strenger beurteilt werden als andere Parteien liegt vermutlich daran, dass wir nicht immer den neoliberalen Grundkonsens mittragen, von dem viele Medien geprägt sind. Es geht nicht darum, immer automatisch das Gegenteil des Mainstreams zu vertreten, sondern dort, wo die Interessen weniger vor gesamtgesellschaftliche Interessen gestellt werden, wie etwa bei Privatisierungen und Deregulierungen, deren Folgen wir gerade erleben, Haltung zu zeigen.

Auch international hat es viel Aufmerksamkeit für dich gegeben. Von der New York Times bis zum Spiegel hat es da Artikel und Reportagen gegeben. Wie geht es dir damit, so im Mittelpunkt zu stehen?

Elke Kahr: Ich gehöre nicht zu jenen, die eine Riesenfreude mit so einem Trubel haben. Es geht nicht um meine Person, sondern um das, wofür meine Partei und ich seit Jahrzehnten eintreten. Deshalb hoffe ich, dass die mediale Aufmerksamkeit helfen kann, ein alternatives Politikmodell bekannter zu machen. So wie wir von anderen lernen, kann vielleicht auch unsere Arbeit in Graz einen Beitrag dazu leisten, den Menschen Zugänge zu einer Politik zu eröffnen, die auf die Stärkung des sozialen und menschlichen Zusammenhalts und der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen abzielt.

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Elke Kahr

Elke Kahr ist Sozialpädagogin. Sie ist seit 1983 Mitglied der KPÖ, seit 1993 Gemeinderätin in Graz. 2005 bis 2017 war sie Stadträtin für Wohnungsangelegenheiten, 2017 bis 2021 Stadträtin für Verkehr. Seit November 2021 ist sie erste Bürgermeisterin von Graz.