Die Zukunft der Neutralität

Obwohl Österreich sich als neutraler Staat definiert, ist seine Wirtschaftspolitik Teil des globalisierten Kapitalismus mit all seinen Ungerechtigkeiten. Seit dem Untergang des realsozialistischen Staatenblocks und vor allem seit dem Beitritt zur Europäischen Union hat sich diese ökonomische Integration verstärkt. Damit einhergehend ist auch die militärische Bündnisfreiheit Österreichs – darauf wird Neutralität in der Diskussion in der Regel reduziert – in den letzten Jahrzehnten immer stärker unter Druck gekommen.

Bundesausschuss der KPÖ, 26.10.2022

In den letzten Jahren ist aber eine Verwertungskrise des Kapitals zu beobachten. Dies deutet darauf hin, dass das Akkumulationsregime generell in die Krise geraten ist, ohne dass die Herrschenden in Ost oder West eine halbwegs inklusive Lösung der vielfachen Krisen unserer Zeit vorzuschlagen hätten. Die autoritäre Wende der letzten Jahre wie auch die aktuellen innerimperialistischen Auseinandersetzungen, die mit dem Angriff auf die Ukraine einen aktuellen Höhepunkt erreicht haben, lassen sich in diese Entwicklung durchaus einordnen.

Der Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO, die aggressiven Aufrüstungspläne im benachbarten Deutschland, die zunehmende Infragestellung der Bündnisfreit Österreichs sind Ergebnis eines Trends, der durch den Krieg gegen die Ukraine beschleunigt wurde, hier aber nicht seinen Ausgangspunkt hat.

In der Debatte um die Neutralität spiegeln sich daher gesellschaftliche Kräfteverhältnisse wie ökonomische Entwicklungen wider. Aus linker Sicht gilt es daher, für einen Begriff von Neutralität zu streiten, der nicht auf militärische Bündnisfreiheit reduziert werden darf, sondern das Eintreten für eine aktive Friedenspolitik auch immer mit dem Hinterfragen globaler Ungleichheiten und Ausbeutungsverhältnisse verknüpft.

Neutralität – wie es dazu kam

“Der Friede und die Freiheit sind die Garantien des Glückes der Völker, und der Aufbau der Welt auf neuen Grundlagen sozialer und nationaler Gerechtigkeit ist der einzige Weg zur friedlichen Zusammenarbeit der Staaten und Völker.” (Aus dem Mauthausen-Schwur)

Die Neutralität ist untrennbar mit der Unabhängigkeit Österreichs verbunden. Die Stunde der Wiedererstehung Österreichs schlug, als Ende März 1945 die 3. Ukrainische Front die Grenze zu Österreich überschritten hat. Am 13. April wurde die Bundeshauptstadt endgültig befreit. 18.000 Sowjetsoldaten verloren dabei ihr Leben.

Die Sowjetunion hielt sich in der Folge strikt an die Grundsätze der Moskauer Deklaration. Sie gestattete umgehend die Wiederbegründung der Parteien ÖVP, SPÖ und KPÖ sowie des Gewerkschaftsbundes und anderer Verbände. Die Einsetzung einer österreichischen Regierung bedeutete für die Sowjetunion auch ein klares Signal der Trennung Österreichs von Deutschland und damit eine Absage an alle Anschlussbestrebungen. Auch im 1955 verabschiedeten Staatsvertrag ist die antifaschistische Orientierung Österreichs klar herauszulesen (speziell etwa in den Artikeln 6-9).

Vier Monate nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages verabschiedete der Nationalrat ein zusätzliches Gesetz von besonderem Gewicht: das im Verfassungsrang stehende »Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs«. Darin erklärt Österreich “aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität”. Dabei wurde die Neutralität bis 1955 von ÖVP, SPÖ und dem Vorläufer der FPÖ abgelehnt. Mit der Einigung auf einen Staatsvertrag gingen auch ÖVP und SPÖ auf die Position der Neutralität über und stimmten gemeinsam mit der KPÖ für dieses grundlegende Gesetz.

Aktive Neutralitätspolitik

Die militärische Bündnislosigkeit, die Nichtteilnahme an Kriegen und die Nichtzulassung militärischer Stützpunkte auf österreichischem Territorium werden durch die Neutralität festgeschrieben. Darüber hinaus sollte die immerwährende Neutralität aber auch “die dauernde Behauptung der Unabhängigkeit Österreichs nach außen und die Unverletzlichkeit seines Gebietes gewährleisten”.

In dieser Formulierung steckt auch der Ansatz für eine aktive Neutralitätspolitik – jenseits von passiver Bündnislosigkeit. So wurde in Österreich phasenweise ein eigenes Neutralitätsverständnis entwickelt und eine aktive Neutralitätspolitik betrieben. Damit verbunden war das Engagement in internationalen Friedensinitiativen, wie auch die Vermittlung zwischen Ost und West in Zeiten des Kalten Krieges. Durch diese vermittelnde Politik gewann Österreich auch international ein hohes Ansehen. Wien wurde, etwa neben New York und Genf, zum dritten Hauptsitz der Vereinten Nationen.

Die österreichische Bundesregierung hätte aber auch in dieser Phase viel weitergehen können. Engagierte Konzepte zur Abrüstung, Entmilitarisierung und Friedenssicherung blieben weitgehend unberücksichtigt. Waffen und andere Rüstungsgüter wurden auch in der Vergangenheit gerne exportiert, um Profite für heimische Unternehmen zu sichern. Die globale Ungleichheit in ökonomischen Fragen wurde weitgehend hingenommen, profitierte man doch vom eigenen Status in diesem Wirtschaftssystem.

Neutralität unter Druck

Das Konzept der Neutralität hatte immer auch schon Gegner:innen. War es 1955 etwa die Vorgängerorganisation der FPÖ, die gegen die Neutralität stimmte, so gab es etwa auch innerhalb des Offizierskorps des Bundesheeres traditionell eine starke NATO-Orientierung. Nach 1989/91 waren es österreichische Generäle, die öffentlich für die Aufgabe der Neutralität und den Beitritt zur NATO eintraten. Zu einem Beitritt kam es zwar nicht, aber die Beziehungen zur NATO wurden in den letzten 30 Jahren immer weiter vertieft. Das Bundesheer beteiligt sich an der „Partnerschaft für den Frieden“ der NATO, NATO-Truppen wurde die Durchfahrtserlaubnis durch Österreich gestattet und im Kosovo sind österreichische Soldaten unter NATO-Führung stationiert.

Wie ökonomische Expansionsbestrebungen mit militärischen Überlegungen Hand in Hand gehen, wird anhand der Rolle der EU deutlich. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union gilt für Österreich zusätzlich die Beistandsklausel im Lissabon-Vertrag und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, mit der die Streitkräfte der EU schon heute stark miteinander verwoben sind. Der Beitritt Österreichs zu PESCO – einem weitgehend unbekannten EU-Militärbündnis – ist Konsequenz daraus. Im Frühjahr 2022 hat die EU überdies die Einführung einer neuen militärischen Eingreiftruppe ab 2025 beschlossen. Auch Österreich beteiligt sich daran und damit an einer imperialistischen Politik. Weder Verteidigungsministerium noch schwarz-grüne Bundesregierung sehen darin einen Widerspruch zur immerwährenden Neutralität.

Den Angriffskrieg gegen die Ukraine nimmt die ÖVP-Verteidigungsministerin zum Anlass, deutlich mehr Geld für das Bundesheer zu fordern. Das Heeresbudget soll auf rund sechs Milliarden Euro mehr als verdoppelt werden. Der ehemalige Generalstabschef Brieger ging noch weiter und schlug vor, in der Verfassung eine Verpflichtung zur Aufrüstung festzuschreiben.

Das aktuelle Heeresbudget wurde soeben um mehr als 5 Milliarden Euro auf 16 Milliarden erhöht. Das Heeresbudget und damit ein Pfad der Aufrüstung soll zudem über ein Finanzierungsgesetz für zehn Jahre abgesichert werden. Noch unklar ist, ob das Heeresbudget in den Verfassungsrang gehoben wird, um dieses auch nach Wahlen gegen mögliche neue parlamentarische Mehrheiten abzusichern. Statt auf Friedenspolitik setzt Schwarz-Grün auf Rüstungspolitik.

Öffentlichkeitswirksam begleitet wurde all dies in den letzten Monaten von einem Brief von einer Hand voll “Prominenter” im Mai des Jahres, in dem eine “ernsthafte Diskussion” zur Abkehr von der Neutralität gefordert wird, was eine breite mediale Berichterstattung fand. Dass diese veröffentlichten Meinungen vor allem die Interessen der Eliten widerspiegeln, wird durch aktuelle Umfragen klar, in denen mehr als 70% der Österreicher:innen an der Neutralität festhalten.

Zukunft der Neutralität

Aktuell scheint vom Neutralitätsgesetz aus dem Jahr 1955 nicht mehr viel übrig zu sein. Rechtlich wie politisch ist die Neutralität bis zur Unkenntlichkeit überlagert worden. Ein NATO-Beitritt wird dadurch zwar noch verhindert, die Beteiligung an Militäroperationen jedoch nicht. All das zeigt, dass die Neutralität aktuell eine leere Worthülse ist. Doch muss das so sein?

Österreich hat eine lange, auf seiner immerwährenden Neutralität fußende Tradition der vermittelnden Außenpolitik. In diesem Sinne könnte Wien mit einer mutigeren Politik auch wieder zum Ort für Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine und für die Wiederherstellung einer Friedensordnung in Europa werden.

Ein künftiges “gemeinsames Haus Europa” muss Atomwaffen abbauen und endgültig aus den militärischen Arsenalen verbannen, wie es schon in der KPÖ-Stellungnahme vom März des Jahres heißt. Auch in Fragen der Abrüstung und des Verbots von Waffenexporten könnte eine aktive Neutralitätspolitik eine entscheidende Rolle spielen.

Zudem müsste eine solche Neutralitätspolitik sich auch kritisch den Fragen nach globalen Ungleichheiten stellen. Eine auf Verwertung, Ausdehnung und damit auch Konkurrenz ausgerichtetes Wirtschaftsinteresse wird immer mit bewaffneten Konflikten einhergehen.

Allerdings orientiert auch die aktuelle österreichische Bundesregierung ihre Politik an den Interessen der Wenigen statt der Vielen, der Reichen anstatt der Arbeiter:innenklasse. Dementsprechend setzt sie – wie der Rest der EU auch – im Falle des Krieges gegen die Ukraine nicht auf Neutralitäts- und aktive Friedenspolitik, sondern auf Sanktionen gegen die russische Bevölkerung. Putins ökonomische und politische Machtbasis bleibt davon bisher unbeeindruckt, ein durch diese Sanktionen herbeigeführtes Ende des Krieges ist bisher nicht absehbar.

Vor echten Sanktionen gegen russische Oligarchen schreckt EU-Europa hingegen zurück. Das würde nämlich eine Offenlegung von Firmenbeteiligungen oder Vermögen in ganz Europa voraussetzen. Daran haben allerdings auch “unsere” Reichen – in Österreich, wie auch in Europa – kein Interesse.

Anstatt über aktive Neutralitätspolitik tatsächlich an einem Frieden für die Ukraine und darüber hinaus an einer Friedensordnung für ganz Europa zu arbeiten, reiht sich Österreich derart umstandslos in die Kriegsfraktion ein und befeuert so den Konflikt, anstatt zu helfen, ihn zu lösen.

Dagegen stellt die KPÖ das Konzept einer eingreifenden, aktiven Neutralitätspolitik, die auch darum bemüht ist, Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bringen!

Bundesvorstand der KPÖ, 5.3.2022

European Left, 24.2.2022

Bundesausschuss der KPÖ