Wir sind Fünftausend - Victor Jaras letztes Gedicht

Nachdem am 11. September 1973 das Militär gegen Salvador Allende geputscht hatte, wurden tausende Linke im Nationalstadion von Santiago de Chile zusammengetrieben und gefoltert. Unter ihnen war auch der berühmte chilenische Liedermacher und Musiker Victor Jara. Kurz bevor ihn das Militär im Nationalstadion ermordete schrieb er dieses letzte Gedicht.

Wir sind Fünftausend hier
in diesem kleinen Teil der Stadt.
Wir sind Fünftausend.
Wieviele sind wir insgesamt,
in den Städten und im ganzen Land?
Nur hier,
zehntausend Hände, die säen
und die Fabriken am Laufen halten.
Wieviel Menschheit
mit Hunger, Kälte, Panik, Schmerz,
moralischem Druck, Angst und Irrsinn.

Sechs von uns sind verloren gegangen,
in den Raum der Sterne.
Einer tot, einer verprügelt, wie ich es nie für möglich gehalten hätte,
daß man ein menschliches Wesen so schlagen kann.
Die anderen Vier wollten sich von
allen Ängsten befreien,
einer sprang ins Leere,
ein anderer schlug seinen Kopf gegen eine Wand,
aber alle mit dem Blick fest auf den Tod gerichtet.
Welchen Schrecken verbreitet das Antlitz des Faschismus!
Sie führen ihre Pläne mit einer gerissenen Präzision aus
ohne sich um irgendetwas Gedanken zu machen.
Das Blut ist für sie wie Medaillen.
Das Abschlachten ist ein heldenhafter Akt.
Ist das die Welt, die Du erschaffen hast, mein Gott?
Hierfür Deine sieben Tage voller Staunen und Arbeit?
Innerhalb dieser vier Wände existiert nur eine Zahl, die nicht vorankommt.
Die sich langsam immer mehr den Tod wünschen wird.

Aber plötzlich meldet sich mein Gewissen
und ich sehe dieses Meer ohne Herzschlag
und ich sehe den Pulsschlag der Maschinen
und die Militärs, die ihr Matronengesicht zeigen,
voller Süße.
Und Mexiko, Kuba und die Welt?
Sie sollen diese Schmach herausschreien!
Wir sind zehntausend Hände weniger,
die nichts mehr produzieren.
Wieviele sind wir im ganzen Vaterland?
Das Blut des Genossen Präsidenten
schlägt stärker als Bomben und Maschinengewehre.
So wird auch unsere Faust wieder schlagen.

Lied, wie schlecht gelingst Du mir
wenn ich den Schrecken singen muß.
Schrecken wie der, den ich lebe,
wie der, den ich sterbe, Schrecken.
Mich zwischen so vielen und vielen
Momenten der Unendlichkeit zu sehen
in denen die Stille und der Schrei
die Ziele dieses Liedes sind.
Was ich sehe, habe ich nie zuvor gesehen.
Was ich gefühlt habe und was ich fühle,
wird den Moment sprießen lassen…