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Walter Baier: »Wir dürfen uns nicht in die Kriegslogik hineinziehen lassen«

Unter dem Titel »An alle Zivilist*innen« ist gerade ein von Walter Baier und Marlene Streeruwitz verfasster Friedensbrief erschienen. Der Brief kann unter www.friedensbrief.at auch öffentlich unterschrieben werden. Grund genug für ein kurzes Interview mit Walter Baier zu Motivation hinter dem Brief, den Unterschieden zwischen alter und neuer Friedensbewegung sowie der aktuellen Debatte in der Linken. Die Fragen stammen von Rainer Hackauf.

Du hast gerade mit der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz einen zur Unterzeichnung offenen Friedensbrief initiiert. Was war eure Motivation dahinter?

Walter Baier: Weil etwas getan werden muss. Marlene Streeruwitz hat gerade ihr »Handbuch gegen den Krieg« fertiggestellt. Lesenswert! Eine penible Untersuchung des Kriegs, seiner Ökonomie und seiner Kultur, besser seiner Kulturfeindlichkeit und der Zerstörung, die er in den Köpfen der Menschen anrichtet. Natürlich verurteilen wir die Aggression der Russischen Föderation gegenüber der Ukraine. Aber es geht auch darum, wie über den Krieg gesprochen wird. Wir dürfen uns nicht in in die Kriegslogik hineinziehen lassen. In den Medien interessiert ja nicht mehr, wie der Krieg beendet werden, sondern nur wie er gewonnen werden kann, und zwar koste es so viele Leben wie auch immer. Dieser Verherrlichung des Kriegs wollen wir uns widersetzen. Unsere Initiative erhielt ein positives Echo: Unter den Erstunterzeichner:innen finden sich Politiker:innen, Christ:innen, Wissenschafter:innen und zahlreiche Künstler:innen. Ich hebe keine einzelnen Namen hervor, weil alle gleich wichtig sind und außerdem kann man die Liste auf der Homepage nachlesen. 

Eine Gruppe von Prominenten, darunter auch SPÖ-nahe Intellektuelle wie Robert Misik, haben Anfang Mai einen offenen Brief veröffentlicht, indem ein Beitritt Österreichs zur NATO gefordert wird. In den Medien wurde der Brief dankbar aufgegriffen. Das obwohl gleichzeitig 80-90% der Österreicher:innen die Neutralität befürworten. Wie beurteilst du diesen zunehmenden Spalt?

Walter Baier: Ja, ein Jammer! Wie so oft läuft der Diskurse der liberalen Eliten und der der Bevölkerung in entgegengesetzte Richtungen. Die Neutralität war den rechten Eliten, die immer Teil von etwas Großem sein wollten, seit je ein Dorn im Auge. 1955 hat nur die FPÖ gegen die immerwährende Neutralität im Nationalrat gestimmt. Die ÖVP blieb immer zweideutig, und in den 2000er-Jahren unter Schüssel ist sie auf Pro-NATO-Kurs eingeschwenkt. Jetzt schließt sich auch ein Teil der rechten SP-Intelligenzia an.  Die verstehen zwar nichts von der Sache, aber sie wollen sich halt ins Gespräch bringen, was wohl auch  absatzfördernd für ihre Bücher wirkt.

Die Menschen außerhalb dieser Blase sind auch keine Militärexperten, aber sie wollen sich nicht in Kriege hineinziehen lassen, die weit weg von Europa beschlossen werden. Sie wollen auch nicht, dass Österreich enorme Mittel für die Rüstung ausgibt. Sie haben ein gesundes Gespür für die Gefahren, die uns drohen. Aber Gespür reicht nicht aus, wenn’s darum geht, zu verhindern, dass die Mehrheit von den Eliten über den Tisch gezogen wird. Das richtige Gefühl muss sich politisieren. Dazu braucht es eine Friedensbewegung, die in die öffentliche Debatte mit eigenen Argumenten eingreift. 

Aktive Friedenspolitik, aktive Neutralitätspolitik – ein Problem ist, dass das in den letzten Jahren eher Schlagworte waren und damit kaum greifbar. Wie kann eine aktive Politik in dem Bereich ganz praktisch aussehen?

Walter Baier: Die gerade stattfindende Konferenz zum Verbot der Atomwaffen ist ein gutes Beispiel: 86 pakt-freie Staaten, die sich völkerrechtlich dazu verpflichtet haben, Atomwaffen nicht zu erwerben, zu entwickeln, zu testen und nicht auf ihrem Gebiet stationieren zu lassen, kommen in Wien zusammen, um zu beraten, wie sie die Atommächte zur Reduzierung und Abschaffung dieser gefährlichsten und zerstörerischsten Waffen bringen können.  Österreich, das als neutraler Staat über keine Atomwaffen verfügt und auch keiner Stationierung zustimmen muss, hat bei der Vorbereitung dieses Vertrages eine Schlüsselrolle gespielt. Darum findet die Konferenz auch in Wien statt. In Wien finden auch die Verhandlungen statt, durch die der Iran dazu gebracht werden soll, nicht nuklear aufzurüsten. Solche Initiativen erhöhen nicht nur die internationale Sicherheit, sondern auch die Sicherheit des Landes. Deshalb hatte ja seinerzeit Bruno Kreisky so viel Wert darauf gelegt, Wien zu einem bedeutenden UN-Sitz aufzuwerten. 

Im Mai 1982 – also vor fast genau 40 Jahren – gab es die bis dahin größten Demonstrationen der Nachkriegszeit. Die Friedensbewegung erlebte damit ihren Höhepunkt. Du warst damals nicht nur dabei, sondern hast diese auch mitorganisiert. Wo würdest du die Unterschiede zwischen der Bewegung damals und heute sehen?

Walter Baier: Was die objektiven Umstände betrifft, sind die Unterschiede gar nicht so groß. Damals wie heute geht es darum, einen – womöglich mit Nuklearwaffen geführten – Krieg in Europa zu verhindern. Allerdings war die Atmosphäre in den 1980er-Jahren politisierter als heute. Es gab beispielsweise eine kommunistische und sozialdemokratische Tagespresse, in der die Fragen des Wettrüstens und seiner Gefahren kritisch diskutiert wurden. Heute besteht ein Meinungsmonopol der Konservativen und Liberalen, die seit dem Amtsantritt Joe Bidens auf Konfrontation und Krieg setzen.

Aber es gibt auch folgende Erfahrung: Als Ende der 1970er-Jahre US-Präsident, Ronald Reagan die Neutronenwaffen in Europa aufstellen wollte, blieb es in Österreich ruhig. Ich erinnere mich, dass ich damals auf einer Kundgebung vor nicht mehr als 150 Leuten gesprochen habe. 1982 beim Friedensmarsch gegen die Stationierung der atomaren Mittelstreckenraketen waren es aber 100.000. Was das zeigt ist, dass politisches Bewusstsein und Mobilisierung sich eben nicht linear, sondern in qualitativen Sprüngen entwickeln. Und so kann es auch dieses Mal sein. 

Aus der Friedensbewegung sind in den 1980er Jahren Die Grünen hervorgegangen. Heute sind die Grünen an vorderster Front, wenn es um eine aggressive Kriegsrhetorik oder auch darum geht, Waffenlieferungen oder gar ein direktes Eingreifen durch die NATO  zu unterstützen. Wie konnte es dazu kommen?

Walter Baier: Ja, wer auf die schiefe Bahn gerät, wird immer schneller. Die Grünen starteten als Alternativbewegung, dann existierten sie ein paar Jahrzehnte in einem Gleichgewicht zwischen linken und bürgerlichen Tendenzen, und heute haben die Bürgerlichen übernommen. In Deutschland vertritt die Spitze der Grünen Partei den liberalen Flügel des Bürgertums. Man kann beobachten, wie sich ihre realpolitisch verdünnte ökologische Agenda mit dem Militarismus und dem Chauvinismus, die seit jeher das deutsche Bürgertum auszeichnet, verbindet. Die österreichischen Grünen folgen diesem Trend. Allerdings gibt es auch beachtlichen Widerstand in der Partei. Nix is fix. Auch diesbezüglich wird viel davon abhängen, ob sich eine starke Friedensbewegung außerhalb der Grünen entwickelt, sodass sie nicht nur von den konservativen und liberalen Medien, sondern auch von sozialen Bewegungen unter Druck geraten. 

Du kommst gerade von der Konferenz »Socialism in Our Time« zurück. Wie wurde das Thema dort diskutiert? Gab es große Einhelligkeit oder eher viele Differenzen?

Walter Baier: Ich hab auf der Veranstaltung unter dem Titel “Jeder Krieg ist eine Niederlage” gesprochen, und war auf eine viel kontroversere Debatte vorbereitet. Tatsächlich aber besteht in der Linken in Europa eine weitgehende Übereinstimmung darüber, dass das Wichtigste ist, dass es in der Ukraine zu einer Feuereinstellung und zu Friedensverhandlungen kommt. Darüber hinaus aber geht es darum, das über Europa schwebende Damoklesschwert eines Nuklearkrieges zu beseitigen. Das einzige, sichere Mittel dazu darin besteht, die Atomwaffen aus Europa wegzuschaffen. Ich glaube, dass Politik zur Beendigung des Krieges in der Ukraine und für einen dauerhaften Frieden in Europa in den kommenden Jahren einen Schwerpunkt der gemeinsamen Aktion der europäischen Linken bilden wird.

Walter Baier auf der Schlusskundgebung der Friedensdemonstration 1983. Foto aus dem Bldband Partei in Bewegung. 100 Jahre KPÖ in Bildern.
Walter Baier auf der Schlusskundgebung der Friedensdemonstration 1983. Foto aus dem Bldband Partei in Bewegung. 100 Jahre KPÖ in Bildern.

Zur Person Walter Baier

Walter Baier ist Ökonom. Er war ab 1981 zentraler Mitorganisator der großen Friedensdemonstrationen in Österreich. Walter Baier war 1994 bis 2006 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs und Herausgeber der Wochenzeitung Volksstimme. Von 2007 bis 2013 leitete er den Thinktank der Partei der Europäischen Linken, transform! europe. Im Mandelbaum-Verlag ist gerade sein neues Buch »Marxismus – Eine Einführung« erschienen, das er gemeinsam mit Gabriele Michalitsch verfasst hat.