Is this the End of the Salami?

Die österreichische Neutralität wird von ihren Gegnern Radl für Radl aufgejausnet. Dieses Gelage muss unterbrochen werden. Eine Bestandsaufnahme von Claudia Krieglsteiner

Am 31. März 1991 beschlossen die Regierungschefs der Warschauer-Vertrags-Staaten die Auflösung des Bündnisses. Es hatte nicht einmal 36 Jahre bestanden. Während die alten und neuen politischen Gegner der österreichischen Neutralität sie schon damals für »obsolet« – nicht mehr zu gebrauchen – erklärten, brachte die KPÖ den Vorschlag eines neutralen und atomwaffenfreien Gürtels von der Ukraine (!) bis zur Schweiz zur Diskussion. Die baltischen Staaten, Weißrussland, die Ukraine, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Tschechien sollten sich für bündnisfrei erklären und mit Österreich und der Schweiz einen europäischen blockfreien und entmilitarisierten Raum bilden. Seit dem Beitrittsansuchen der Bundesregierung zur EU schwankte die offizielle Lesart der Auswirkungen auf die Neutralität zwischen zwei entgegengesetzten Argumentationen. Einerseits hieß es, das Wirtschaftsbündnis habe nichts mit der Sicherheitspolitik zu tun und anderseits, dass in der EU die Neutralität nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. Wie unrichtig beide Behauptungen sind, zeigte sich nach dem Beitritt – und das gilt bis heute.

Die österreichische Friedensbewegung und das »Neutralitätsobjekt«

Der Begriff »Salamitaktik« (szalámitaktika) wurde in Ungarn Ende der 40er Jahre geprägt und beschreibt einen Prozess, in dem ein längerfristiges Ziel durch kleinere Schritte und Einschnitte erreicht wird, die zunächst das Ziel nicht unbedingt erkennen lassen. 

Die Wiener Friedensbewegung machte auf die stückweise Aufgabe der Neutralität durch die Bundesregierung mit einer auffallenden Aktion aufmerksam. Aktivist:innen umzingelten mit einer Riesen-Neutralitäts-Salami durch die Bezirke. Dieses Objekt aus Pappmaché, das mit tatkräftiger Unterstützung des Mitarbeiters der hauseigenen Werkstatt der Wiener KPÖ gebastelt wurde, versinnbildlichte die Politik, die die Regierung in Bezug auf die (besser: gegen die) österreichische Neutralität betrieb. Auch in anderen Bundesländern wurden Aktionen mit der Neutralitätssalami durchgeführt. Seither wurden viele Scheiben der Salami abgeschnitten. Die Entwicklung der EU zu einem militärischen Bündnis wurde und wird immer weiter vorangetrieben, die österreichische Verfassung – um den EU-Verträgen zu entsprechen – immer weiter verbogen. Und darüber hinaus werden in der konkreten Politik verfassungswidrige Schritte gesetzt. Diese Politik, die Neutralität scheibchenweise und unauffällig zu entsorgen, ja ihr widersprechende Handlungen zu setzen und Gesetze zu beschließen, wurde von den verschiedenen Koalitionen – SPÖ-ÖVP, ÖVP-FPÖ und ÖVP-Grüne fortgesetzt bis zum aktuellen Beschluss, sich am NATO Sky Shield zu beteiligen.

Neutral im 21. Jahrhundert? 

Die österreichische Neutralität ist das Ergebnis der internationalen Konstellation nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie ist aber auch die Schlussfolgerung der Generationen, die traumatische und beschämende Erfahrungen aufgrund der erlebten Gräuel dieses Krieges gemacht hatten. Das ist für jüngere Generationen nicht mehr so einfach nachvollziehbar. 

In den 80er Jahren stand – ausgelöst durch die nicht eingestandene Beteiligung an Nazi-Verbrechen durch den Bundespräsidenten Waldheim – die Aufarbeitung der Beteiligung von Österreicher*innen an den Verbrechen der Wehrmacht – namentlich in Osteuropa und Russland – sowie ihre Rolle im Naziregime und den Konzentrationslagern berechtigterweise im Vordergrund.

Selbst der heiße Krieg beim Zerfall Jugoslawiens ist für die Klimaaktivist*innen von heute eine Sache aus den Geschichtsbüchern. Insbesondere junge Migrant:innen der zweiten und dritten Generation verbinden ihre Haltung zur Neutralität kaum mit der spezifisch österreichischen Geschichte. Und dennoch gibt es auch bei den unter Dreißigjährigen eine Mehrheit von 57 Prozent, die die Neutralität behalten möchten, bei den über Fünfzigjährigen sind es allerdings 77 Prozent.

Neutralität als Möglichkeitsraum 

Solange der Widerspruch zwischen der Verfassung Österreichs und der Haltung der Mehrheit der Menschen einerseits und der konkreten Politik und der veröffentlichten Meinung andererseits besteht, gibt es auch die Möglichkeit, an der Seite des Widerspruchs anzuknüpfen, die eine aktive, friedensorientierte Neutralitätspolitik erlaubt. 

Die Rücksichtnahme auf diesen Widerspruch fand auch Eingang in den EU-Vertrag von Lissabon zur gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dort heißt es im § 42, Absatz 7: »Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mitArtikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt. [Hervorhebung C. K.]« Diese etwas kryptische Formulierung wurde auf Betreiben Irlands und weniger Österreichs aufgenommen, weshalb sie in der internationalen politwissenschaftlichen Diskussion auch »Irische Klausel« genannt wird.

Ein klarer Hinweis auf das Potential der Neutralitätspolitik ist die Rolle, die Österreich bei der Entstehung und Realisierung des Atomwaffenverbotsvertrages gespielt hat. Dieser Vertrag verbietet Entwicklung, Produktion, Tests, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und Einsatz von Atomwaffen sowie die Drohung mit ihrem Einsatz. Der Vertrag wurde im Juli 2017 von der UNO beschlossen. Am 22. Januar 2021, 90 Tage nach der 50. Ratifizierung durch einen Mitgliedsstaat, trat er in Kraft. Bis zum 26. September 2022 hatten 91 Staaten unterzeichnet, 68 Staaten den Vertrag ratifiziert.

Wer vom Klima spricht, darf von der Rüstung nicht schweigen. Wieviel näher an Kipppunkte bringt uns der Krieg in der Ukraine mit seinem gewaltigen CO2 Ausstoß täglich? Wie viel Infrastruktur wird zerstört – und klimabelastend wieder aufgebaut – ,wie viele Ressourcen werden verschwendet? Dies ist der wichtigste Gesichtspunkt, der junge engagierte Menschen in das Ringen nicht nur um deren Fortbestand, sondern in die aktive und friedensorientierte Umsetzung der Neutralität einbeziehen kann.

Kriegsbegeisterung und militaristische Männlichkeitsbilder sind unter den jungen Menschen in Österreich in der Minderheit. Aus diesem Möglichkeitsraum eine reale Zukunft zu machen wäre sinnvoll und lebensbejahend!

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Claudia Krieglsteiner

Claudia Krieglsteiner ist Bezirksrätin in Wien-Margareten, Mitglied der Stadtleitung der KPÖ Wien und langjährige Aktivistin der Friedensbewegung.

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Dieser Beitrag ist zuerst in der Volksstimme vom Oktober 2023 erschienen.