“Wir müssen unsere Regierung dazu bringen, Menschen, die von den Taliban bedroht werden, bei uns aufzunehmen.”

Die Lage in Afghanistan ist dramatisch. Das chaotische Ende der NATO-Mission hat die Taliban in dem von Krieg gebeutelten Land an die Macht gebracht. KPÖ-Gemeinderätin Sahar Mohsenzada wurde in der Hauptstadt Kabul geboren. Sarah Pansy hat im ARGUMENT, der Mitgliederzeitung der KPÖ, mit ihr folgendes Interview geführt.

ARGUMENT: Wie beobachtest du die aktuellen Geschehnisse in Afghanistan?

Sahar Mohsenzada: Ich bin mit 6 Jahren nach Österreich gekommen, in Klagenfurt aufgewachsen. Zum Studieren bin ich dann nach Graz gezogen. Bei den Nachrichten der letzten Tage, bekomme ich ein beklemmendes Gefühl. Ich sehe, wie verzweifelte Menschen sich an ihrem letzten Strohhalm festhalten, weil sie nicht durch denselben Horror gehen wollen, wie vor 20 Jahren.Ich höre aber auch von Verwandten, was sich abspielt. Eine regelrechte „Menschenjagd“ hat begonnen. Familienmitglieder, die im öffentlichen Leben stehen, haben alles hinter sich gelassen und verstecken sich.

Welche Gruppen kamen durch die US-Mission an die Macht?

SM: Die Geschichte von Afghanistan ist eine lange und traurige. Sie handelt hauptsächlich von Stellvertreterkriegen. Ursachen liegen in dem 10-jährigen Bürgerkrieg zwischen der, von der  Sowjetunion unterstützten, afghanischen Regierung gegen die Mudschahedin, die von den USA, Saudi-Arabien und Pakistan unterstützt wurden. Ziel der USA war es, die Ausbreitung des “Kommunismus” einzudämmen. Aus diesem Krieg gingen viele Waisen hervor, die nach Pakistan geschickt wurden. Dort wurden sie von islamistischen Koranschulen unterwiesen. Nur ging es dabei nicht um die Religion Islam, sondern man schuf Kindersoldaten, die sich fortan „Taliban“ nannten. Bald gewannen die Taliban überhand und regierten das Land ab 1996. Diese Terrorherrschaft dauerte bis 2001 an.

Warum ist es nicht gelungen, die Bevölkerung hinter das Regime zu bringen? War das überhaupt ein Ziel der Mission?

SM: Die USA wollten von Anfang an keine stabile Zentralregierung. Daher wurde bewusst ein Marionettenstaat errichtet, der alleine nicht überlebensfähig war. Lokale Warlords wurden gleichzeitig gestützt, damit jeder einen Teil des Landes kontrollieren konnte. Zudem wurden zahlreiche Entscheidungen durch die US-Besatzer selbst getroffen, wie die Vergabe von Bauvorhaben oder Bildungsaufträge.  Eine nationale Einheit konnte so gar nicht zustande kommen.

Warum ist Afghanistan für ausländische Interessen so bedeutend?

SM: Afghanistan liegt geopolitisch an einem strategischen Angelpunkt. An der Seidenstraße mit sechs direkten Nachbarn. Auch Russland und Indien sind nicht weit weg. Jeder dieser Akteure, wie auch westliche Mächte, haben hier Interessen. Es war nicht immer der bestimmende Grund, zur Zeit geht es aber um Rohstoffe. An diesen ist das Land reich. Etwa an Lithium, das immer gefragter wird zum Beispiel für Handys aber auch für Batterien von Elektrofahrzeugen. Es laufen auch wichtige Erdgas- und Erdöl-Leitungen durch das Land. Seit der Pandemie sind die Preise für viele dieser Rohstoffe übrigens explodiert.

Wie sieht es mit linken Kräften in Afghanistan und in afghanischen Gemeinschaften in Europa aus?

SM: Es gibt eine Linke vor Ort. Und verschiedene Strömungen vor allem in der Diaspora lebender Afghan:innen. Diese waren in den 1970er und 1980er Jahren in Afghanistan aktiv. Sie betreiben eigene Vereine für Frauen, Migrant:innen oder Kultur.

Welche Unterstützung ist zur Zeit möglich?

SM: Konkret sollten wir auf unsere Regierungen Druck aufbauen, die neue Herrschaft der Taliban nicht offiziell anzuerkennen. Die europäischen Regierungen sollten hingegen politischen, diplomatischen, ökonomischen Druck auf die Taliban ausüben, damit diese die Menschenrechte akzeptieren. Des Weiteren müssen wir unsere Regierung in Österreich dazu bringen, Menschen, die von Taliban bedroht werden, bei uns aufzunehmen. Auch wenn wir gerade eine Regierung haben, der Wahlkämpfe wichtiger sind als Menschenleben.

In den kommenden sechs Monaten wird in Afghanistan zusätzlich Dürre und Hungersnot herrschen. Es ist wichtig, dass es Menschenrechtsorganisationen ermöglicht wird, Afghan:innen schnell und unbürokratisch zu helfen.

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