Die Mauer fiel, neue Mauern sind entstanden

Von KPÖ-Bundesausschuss (6.11.2009)

Erklärung der KPÖ zum 20. Jahrestag der Öffnung der Berliner Mauer und zum Ende der realsozialistischen Staaten in Osteuropa

Am 9. November 1989 wurde die Berliner Mauer, Symbol der Teilung Deutschlands und Europas, geöffnet. Damit war auch das letzte Kapitel zum Zusammenbruch der Staaten des real existierenden Sozialismus in Osteuropa aufgeschlagen, das wenig später mit der Auflösung der Sowjetunion beendet werden sollte.

20 Jahre später erleben wir eine neue Etappe eines globalisierten, neoliberalen kapitalistischen Systems, das sich seiner politischen, ökonomischen und territorialen Begrenzungen entledigt hat und die Welt in neue, totalitäre Abhängigkeit nicht nur von seinen ökonomischen und politischen Machtstrukturen, sondern auch von seinen Kriegen und Krisen gebracht hat. Die osteuropäischen Länder finden sich heute an der Peripherie der kapitalistischen Entwicklung aus der sie auch auf absehbare Zeit nicht herauskommen werden.

Heute befinden sich die Kräfte des Widerstandes gegen den Neoliberalismus, der politischen und gewerkschaftlichen Linken, der sozialen und antiimperialis­tischen Bewegungen in der Defensive. Unbestreitbar ist eine der Ursachen dafür die anhaltende Wirkung der Diskreditierung, welche die damals zusammengebrochene Welt des „realen Sozialismus“ für eine über den realen Kapitalismus hinausweisende sozialistische Perspektive bedeutet.

Dieser „reale Sozialismus“ ist in erster Linie aus inneren, systembedingten Ursachen – vor allem an seiner Unfähigkeit, wirtschaftlichen, sozialen Fortschritt und Demokratie in Übereinstimmung zu bringen – gescheitert. Ein Sozialismus in 21. Jahrhundert wird mit dem untergegangen Modell –- wenn überhaupt –- bestenfalls den Namen gemeinsam haben.

Die KPÖ war vom raschen Ende des Realsozialismus in Osteuropa ebenso überrascht worden wie beinahe alle anderen politischen Kräfte. Sie war aber davon besonders betroffen, weil sie in den zwei Jahrzehnten vor dem Zusammenbruch die Situation in jenen Staaten, die als „Realsozialismus“ oder „Ostblock“ bezeichnet wurden, „schön geredet“ hat. Selbst zu den Verbrechen des Stalinismus hat die Partei sich über Jahrzehnte hinweg kaum geäußert.

Dieser Realitätsverlust war eine der negativen Auswirkungen des Abbruchs der Erneuerungsbes­trebungen, die die KPÖ in den 60-er-Jahren unternommen hat. Es bedurfte erst der dramatischen Wende in Ende der 80er-Jahre, dass sich die KPÖ wieder durchrang, Klartext zu reden: „Vom Standpunkt der Werte unserer Bewegung müssen wir feststellen: Unter der stalinistischen Herrschaft sind schwerwiegende Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt worden, und das auch an österreichischen KommunistInnen sowie an anderen Linken. Auch nach dem Tode Stalins wurden die bürokratischen und autoritären Strukturen nicht überwunden. Darin liegt eine wesentliche Ursache für die Stagnation und den Zusammenbruch des Realsozialismus. Der Stalinismus und seine Folgen haben der Idee des Sozialismus unermesslichen Schaden zugefügt.“ (28. Parteitag der KPÖ, 1991)

Wir österreichischen Kommunisten und Kommunistinnen, egal ob wir seit wenigen Jahren oder mehreren Jahrzehnten in der KPÖ engagiert sind, haben unsere Lektion gelernt. Die historische Erfahrung des untergegangenen Realsozialismus erweist, so unsere Meinung, dass der Sozialismus nur ein demokratischer sein kann, der nur Wirklichkeit wird und bleiben kann, wenn es die Mehrheit der Menschen so will. Sozialismus ist ohne Demokratie, Rechtssicherheit und individuelle Freiheitsrechte nicht zu verwirklichen.

Die aktuelle globale Wirtschaftskrise und das Unrecht, welches das kapitalistische Modell global tagtäglich schafft, Lebensmittel- und Klimakrise stellen unter Beweis, dass der Kampf um Emanzipation und Selbstbestimmung noch lange nicht sein Ende gefunden hat. Zum Jahrestag des Mauerfalls in Berlin fordern wir, dass all jene Mauern ein- und niedergerissen werden, die seit 1989 rund um den Globus neu errichtet wurden.

Die Mauer zwischen USA und Mexiko, die Mauer zwischen Nord- und Südkorea, die Mauern in Palästina und vor allem die unsichtbare Mauer rund um die EU, verkörpert durch das durch und durch inhumane und unakzeptable Grenzregime der EU (Stichwort: Frontex) und sanktioniert durch den EU-Vertrag, der Militarisierung, Neoliberalismus und undemokratische Strukturen zementiert.

Soziale Gerechtigkeit und demokratische Partizipation der Menschen in Österreich, Europa und weltweit erfordern die Entmachtung der großen transnationalen Konzerne, erfordern die Rückgewinnung des Primats der Politik über scheinbare ökonomische Sachzwänge. Geschichte und Gegenwart belegen, so unsere Meinung, dass soziale und demokratische Grundrechte für alle Menschen unter kapitalistischen Rahmenbedingungen nicht realisiert werden können – aber „eine andere Welt ist möglich“ – als globale Anforderung an die Menschheit und als Vision der kommunistischen Bewegung von einer gerechten Gesellschaft.

KPÖ-Bundesausschuss, 5.11.2009