Die KPÖ zum Jahrestag des 21. August 1968

Von KPÖ-Bundesausschuss (19.8.2008)

In der Nacht zum 21. August 1968 marschierten Truppen von fünf Warschauer-Pakt-Staaten in der damaligen CSSR ein. Damit wurde der „Prager Frühling“ mit militärischer Gewalt beendet. Der Versuch zur Reform des Sozialismus durch Überwindung des zentralistisch-autoritären, verbürokratisierten von der Sowjetunion auch in der Tschechoslowakei übernommenen Modells war damit gescheitert.

Die Verurteilung des Einmarsches durch das Zentralkomitee der KPÖ am 22. August 1968 und seine Charakterisierung als „Bruch aller Normen der Beziehungen zwischen kommunistischen Parteien“ war richtig, ebenso die Forderung der KPÖ nach sofortigem Abzug aller Truppen. Die spätere Rücknahme dieser Erklärung war ein schwerer politischer Fehler.

Nachhaltiger Schaden für kommunistische Bewegung, Wendepunkt für Realsozialismus

Die Folgen des Einmarsches waren für die internationale kommunistische Bewegung dramatisch: Der sozialistischen Idee und der kommunistischen Bewegung wurde schwerer Schaden zugefügt und die notwendige gesellschaftliche Erneuerung des Realsozialismus nachhaltig blockiert.

Die Führungen der Sowjetunion und der ihr untergeordneten anderen sozialistischen Staaten fürchteten sowohl ein Auseinanderfallen des Warschauer Vertrages, als auch die Beispielwirkung demokratischer Umgestaltungen in ihren eigenen Ländern. Nach dem Konflikt mit Jugoslawien 1948 und den Krisen 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn und der mit dem Sturz Chruschtschows 1964 beendeten halbherzigen Entstalinisierung im Gefolge des 20. Parteitages der KPdSU von 1956 war der „Prager Frühling“ von 1968 wahrscheinlich die letzte Chance einer tiefgreifenden Erneuerung des Sozialismus.

Die später folgenden Krisen in Polen 1971 und 1981 sowie politische und zivilgesellschaf­tliche Passivität der Werktätigen seit den 70er Jahren zeigten immer deutlicher, dass keine Hegemonie sozialistischer Kräfte mehr bestand. Das endgültige Scheitern zwei Jahrzehnte später war zwar auch ein Resultat des kalten Krieges und der Blockkonfrontation, entscheidend dafür aber war letztlich das System des bürokratisch und undemokratisch angelegten Realsozialismus selbst.

Der Versuch, ohne tiefgreifende wirtschaftliche und politische Reformen eine auf immer umfangreichere Kreditaufnahmen im Westen gestützte sozialistische „Konsumgesellschaf­t“ zu entwickeln, scheiterte. Entgegen propagandistischen Behauptungen von einer „Überlegenheit“ des Sozialismus und der „allgemeinen Krise“ des Kapitalismus beherrschte eine unübersehbare wirtschaftliche und soziale Stagnation in der Sowjetunion und in den meisten osteuropäischen Ländern den Sozialismus bis zum Zusammenbruch. Statt deren Reformpotential zu nützen, wurden alle KritikerInnen in die Illegalität und in zivilgesellschaf­tliche Nischen gedrängt und gerieten damit als DissidentInnen überwiegend in eine Frontstellung gegen das herrschende politische System.

Ausgehend von der Grundannahme, dass die „Reformer“ in der Tschechoslowakei des Jahres 1968 massiv vom gesamten Westen unterstützt würden, standen viele KommunistInnen den Reformen misstrauisch gegenüber und sahen darin eine Gefahr für den Sozialismus. Sie glaubten daher, sich nur auf die konservativen, dogmatischen Kräfte stützen zu können.

Die westlichen Regierungen und Medien hatten mit der vom Aktionsprogramm der KPC im April 1968 entwickelten Perspektive einer zeitgemäßen, demokratischen Umgestaltung des Sozialismus natürlich nichts im Sinne und wollten jede gesellschaftspo­litische Änderung im Sozialismus zur Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse ausnutzen.

Doch wie bereits 1956 in Ungarn zeigte sich auch 1968 in der Tschechoslowakei, dass die stalinistischen Strukturen in Partei, Staat, Wirtschaft und Gesellschaft die eigentlichen Ursachen der Krise waren.

Zivilgesellschaf­tliche Sozialismuskon­zeption

Beim „Prager Frühling“ von 1968 zeichneten sich durch den einzigartigen Konsens zwischen Reformführung und Zivilgesellschaft zum ersten Mal seit 1917 die Konturen einer zivilgesellschaf­tlichen Sozialismuskon­zeption ab. Er hätte die Chance geboten, aus einer „Logik des Bürgerkrieges“ auszubrechen und die damit verbundene Belagerungsmen­talität, die sich in ständigen Akten sozialer Disziplinierung und immer wieder reproduzierten Ritualen der Einheit äußerte, zu überwinden und damit zu einer schöpferische Entwicklung des Marxismus zu gelangen.

Parteinahme für soziale Rechte und Frieden, Schlussfolgerungen für heute

Die Erfahrungen seit der Wende von 1989 in der Tschechoslowakei und in den anderen Ländern Osteuropas beweisen, dass die Wiedererrichtung der kapitalistischen Gesellschaft die soziale Krise nicht löst, sondern verschärft. Die Menschen bezahlen mit Massenarbeitslo­sigkeit, Verarmung, sozialem Zerfall, wachsendem Rechtsextremismus und Nationalismus einen hohen Preis für die Einführung der vom Westen propagierten kapitalistischen Marktwirtschaft.

Deshalb gilt zum Jahrestag der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ unsere Solidarität der Bevölkerung Tschechiens und der Slowakei im Kampf um ihre sozialen Interessen, aber auch gegen die von NATO und USA betrieben neue Aufrüstung. Als Mitgliedspartei der Europäischen Linken verbindet uns dieser Kampf mit den EL-Parteien KSCM und SDS in Tschechien sowie der KSS in der Slowakei.

Wir halten die Verurteilung der bewaffneten Intervention in der CSSR vor 25 Jahren durch jene Kräfte für heuchlerisch, die 1999 den Krieg gegen Jugoslawien und 2003 im Irak befürworteten. Die KPÖ hat am 28. Parteitag 1991 den Kurs auf Erneuerung als selbständige, auf eine qualitative, sozialistische Veränderung der Gesellschaft zielende kommunistische Partei eingeschlagen und setzt diesen konsequent fort. Die Analyse aller Seiten der Vergangenheit unserer Partei, einschließlich der Fehler und Irrtümer ist notwendig, wenn wir unseren Platz in der Gesellschaft bestimmen wollen. Dies schließt auch die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des stalinistischen Systems mit ein.

Der „Prager Frühling“ war ein markanter Punkt für das Scheitern der Erneuerungsversuche sowohl im „realen Sozialismus“ als auch von westlichen kommunistischen Parteien. Auch der Ansatz des „Austro-Eurokommunismus“, den die KPÖ Mitte der 60er Jahre als Emanzipationsbes­trebung gegenüber dem Allmachts- und Führungsanspruch der KPdSU entwickelt hatte, wurde nicht weiter verfolgt, was die kommunistische Bewegung bis heute als Hypothek belastet.

Die Ereignisse des Jahres 1968 in der Tschechoslowakei sind auch im internationalen Zusammenhang mit den studentischen und demokratischen Bewegungen im Westen zu sehen. Bei aller Unterschiedlichkeit finden sich Gemeinsamkeiten, etwa gegen Autoritarismus, Bevormundung, Bürokratie und fordistische Arbeitsdiszipli­nierung. Und auf beiden Seiten ging es um Menschenrechte, im Westen mehr um die sozialen, im Osten mehr um die demokratischen Rechte. Für die KPÖ ergibt sich daraus als Lehre, für umfassende Menschenrechte einzutreten. Es kann kein Gesellschaftssystem geben, das den Namen Sozialismus verdient, in dem individuelle und soziale Rechte gegenübergestellt werden.

Stellungnahme des Bundesausschusses der KPÖ vom 14. August 2008